© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Zeitschriftenkritik: Frankreich erleben
Vom Glaubensberg zur Schäferei
Thorsten Thaler

Der französische Schriftsteller Victor Hugo soll den im Wattenmeer der Normandie gelegenen Mont Saint-Michel – eine zu Ehren des Erzengels Michael Anfang des 8. Jahrhundert gegründete Klosteranlage auf einem Felshügel – und seine Bedeutung für Frankreich einst mit dem Wunder der Pyramiden in Ägypten verglichen haben. Hugo (1802–1885) besuchte die Insel, als die Abtei im Zuge der Französischen Revolution vornehmlich als Staatsgefängnis diente. 1789/90 hatte die Revolutionsregierung Kirchengüter verstaatlicht, die Orden verboten und die Mönche aus ihren Klöstern vertrieben. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auf Mont Saint-Michel hauptsächlich politische Häftlinge eingekerkert. Von dieser Zeit berichtet die aktuelle Ausgabe des Magazins Frankeich erleben (Sommer 2022). Danach wurde jede noch so kleine Fläche für die im Durchschnitt 600 Gefangenen genutzt. Aus dem Refektorium der Mönche wurde ein Schlafsaal und eine Werkstatt, das Kirchenschiff diente als Speisesaal, der ehemalige Rittersaal wurde zur Spinnerei umfunktioniert, im Wandelgang eine Hutfabrik eingerichtet. Die Häftlinge mußten schließlich arbeiten, um zu den Unterhaltungskosten beizutragen. Der auch politisch engagierte Hugo zeigte sich entsetzt. Fortan setzte er sich dafür ein, daß der „magische Glaubensberg des Abendlandes“ als kulturelles Wunderwerk wieder seine ursprüngliche Bedeutung erhalten sollte. Mit Erfolg: 1863 ordnete ein kaiserliches Dekret die Schließung des Gefängnisses an; 1874 wurde der Mont Saint-Michel zum nationalen Denkmal erklärt, 1979 zum Weltkulturerbe. 

Ein weiterer Beitrag in dem alle drei Monate erscheinenden Magazin widmet sich der berühmten einstmals königlichen, heute nationalen Schäferei von Rambouillet. Sie geht auf Ludwig XVI. zurück, der 1786 eine Herde Merinoschafe aus Spanien nach Frankreich einführen durfte und rund 50 Kilometer südwestlich von Paris im Park von Schloß Rambouillet die Schäferei gründen ließ. Die Wollindustrie gehörte zu jener Zeit zu den wichtigsten europäischen Wirtschaftszweigen, und die besonders feine Wolle der spanischen Merinoschafe war die wertvollste. Bis heute zeichnet sich die reinrassige Herde von Rambouillet dadurch aus, daß die Schafe nie mit anderen Rassen  gekreuzt wurden.

Beiträge unter anderem über ein Künstlerdorf am Fuße der Pyrenäen und Weinkeller im Loire-Tal runden das opulent bebilderte Magazin ab. Ergänzend gibt es Hinweise auf Bücher und Filme mit Frankreich-Bezug sowie Beiträge zu typisch französischen Erzeugnissen wie Senf aus Dijon oder dem Obstbrand Calvados aus der Normandie .

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