© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Der Hengst darf nicht sterben
Kino: Der zweite „Immenhof“-Neuaufguß „Das große Versprechen“ verspricht mehr, als er halten kann
Dietmar Mehrens

Wie eine Marlboro-Werbung für Nichtraucher beginnt der zweite „Immenhof“-Film von Regisseurin und Autorin Sharon von Wietersheim: galoppierende Pferde vor rauher Naturkulisse, aber ohne Reiter und natürlich auch ohne Fluppen im Bild. Es ist bezeichnend, daß diejenigen Szenen aus „Immenhof 2 – Das große Versprechen“, in denen keine Schauspieler zu sehen sind, den tiefsten Eindruck hinterlassen. Während der deutsche Pferdeoper-Konkurrent „Ostwind“ (2013) in seinen besten Szenen sogar mit Robert Redfords legendärem „Pferdeflüsterer“ (1998) auf Augenhöhe ist und dabei vieles seiner authentischen und charismatischen Hauptdarstellerin verdankt, reißt „Immenhof 2“ jede Latte, auch wenn sie noch so niedrig hängt. Die emotionale Wucht von „Ostwind“ wird nirgends erreicht und der heitere Heimatfilm-Zauber der „Immenhof“-Filme aus den Fünfzigern sowieso nicht.

Die jungen Darsteller erreichen allesamt nur Seifenoper-Niveau

Das große Drama, das sich abzeichnet, als Lou (Leia Holtwick) das Rennpferd Cagliostro (Blitz) krank im Stroh liegend auffindet, endet, wie vieles in dem Film, als Sturm im Wasserglas, auch wenn es eine Weile dauert, bis der glückliche Ausgang feststeht. Erst mal schockt der herbeigerufene Arzt alle mit einem demoralisierenden Befund: Der Renngaul wurde Opfer eines heimtückischen Giftanschlags. Mit großer Leidenschaft pflegt Lou das Tier gesund und kann es mit Glück vor einem zweiten Giftmordversuch bewahren. Als sie jedoch erfahren muß, daß Cagliostros Eigentümer Mallinckroth (Heiner Lauterbach) den Rekonvaleszenten erneut als Derby-Pferd einsetzen will, damit er das „Triple“ holen kann, brennen bei Lou erst sämtliche Sicherungen durch – und dann sie selbst. Mit Cagliostro. Denn eines ist von Anfang an klar: Cagliostro darf nicht sterben. Das ist das große Versprechen, das Lou dem Hengst gibt.

In Nebenhandlungen, die ein paar Konturen aus „Hochzeit auf Immenhof“ (1956) durchscheinen lassen, bekommt der Zuschauer es mit einem frechen Pony, Lous frecher Schwester Emmie (Ella Päffgen), einer schwierigen Hausgeburt und einem problematischen Liebesdreieck zu tun: Leon (Moritz Bäckerling), Lous Freund aus „Immenhof – Das Abenteuer eines Sommers“ (2019), kehrt zu einem Überraschungsbesuch auf das Gestüt zurück, nur um festzustellen, daß Lou ihr Herz an einen neuen Verehrer verloren hat, den Pferde-, aber auch Mädchenliebhaber Cal (Max Befort). Pech für Leon: Cal spielt eine wichtige Rolle bei Cagliostros Rettung, für die eine raffinierte List erforderlich wird. 

Das größte Drama des Films sind aber weder der kranke Gaul noch der krude Giftmörder, sondern die jungen Darsteller, die allesamt nur Seifenoper-Niveau erreichen. Hier lahmt nicht nur das Rennpferd, hier lahmt fast das gesamte Ensemble. Caro Cult wirkt als kiebige Aushilfskraft aus der Stadt noch am ungezwungensten und macht unter den Jungdarstellern die beste Figur. Heiner Lauterbach als herzloser Pferdeverheizer hebt sich mit seinem professionellen Spiel dermaßen kraß von dem dürftigen Laiendarsteller-Mittelmaß ab, daß man sich ernsthaft fragt, ob es eine gute Idee war, den Film mit einem solchen Vollblutprofi zu besetzen. 

Zugegeben, eine handlungsästhetische Offenbarung waren auch die drei „Immenhof“-Originale mit Angelika Meissner und Heidi Brühl als Dick und Dalli nicht. Doch während „Die Mädels vom Immenhof“ dem Zuschauer jederzeit das Gefühl gaben, sie in eine idyllische Welt zu entführen, die jeden Gedanken an ihre Künstlichkeit vertreibt, wirkt bei Sharon von Wietersheim alles einstudiert, aufgesagt und bemüht. Das macht auch die vielen vor allem der kleinen Emmie und ihrer Kusine Josy in den Mund geschobenen Einzeiler zu merkwürdig angestrengt wirkenden Witzchen, die einem zwar ein Lächeln entlocken; nur weiß man nie recht, ob wegen des Scherzes oder der Unbeholfenheit des Vortrags. Es fehlt jede Natürlichkeit. Den Immenhof von seinem Stammsitz in Ostholstein an die Ostsee zu verlegen und die dort spielenden Szenen dann auch noch in Belgien zu drehen mag ein übriges dazu beigetragen haben, daß der klassische Immenhof-Charme den Film meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Kinostart ist am 26. Mai 2022.