© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Grüne Theorie und die Praxis
Zunehmende Schwierigkeiten in der deutschen Windkraftindustrie / Abstieg und Ausverkauf?
Marc Schmidt

Die Situation der deutschen Windkraftindustrie zeigt den Unterschied zwischen Theorie und Praxis: Politik und Medien feiern Windräder als Klima-Allheilmittel und bieten enorme Subventionen – die grüne Branche müßte eigentlich nur wachsen. Praktisch ist der Windanlagenbau in Deutschland fast tot. Und wo viel Geld winkt, wird auch kriminelle Energie geweckt. Exemplarisch dafür ist das im Mai vom Landgericht Osnabrück ergangene Urteil gegen Verantwortliche der emsländischen Holt-Gruppe.

Hendrik Holt und Finanzchef Heinz Luchterhand erstellten zwischen 2017 und 2020 Tausende Dokumente, um Anzahlungen für Beteiligungen an nicht existierenden Windparkprojekten zu bekommen. Die drei europäischen Energiekonzerne ČEZ, Enel und SSE überwiesen jeweils zehn Millionen Euro an Anzahlungen in dem Glauben, durch die Projekte an der Goldgrube der deutschen Windenergieförderung teilzuhaben. Das Verfahren endete für die beiden Hauptangeklagten mit siebenjährigen Gefängnisstrafen. Auch Mutter, Schwester und Bruder des 32jährigen Holt erhielten Haftstrafen.

Große Konzerne, weniger Wettbewerb, grüne Inflation

Der teuerste und regulierteste Strommarkt der Welt steht für einen absurden Wachstumszwang insbesondere bei Windkraftanlagen. Das vermeintliche Wachstum und die früheren Gewinne der Projektierer stehen allerdings im krassen Widerspruch zur Entwicklung der Windanlagenindustrie. Während die Projektierer wegen der grünen Inflation durch Festpreise vermehrt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, haben die Windkraftanlagenbauer mit dem Produktionsstandort Deutschland seit Jahren weitestgehend abgeschlossen.

Betrachtet man die Probleme der Branche, sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Auf EU-Ebene konzentriert sich der Markt auf eine immer geringer werdende Zahl großer Konzerne, die es trotz Synergien, sinkendem Wettbewerb und staatlichen Hilfen nicht schaffen, profitabel Windräder zu entwickeln und in Hochpreisländern wie Deutschland zu produzieren. Zudem fordern international immer mehr Staaten beim Bau von Windkraftanlagen, insbesondere in den Wachstumsmärkten außerhalb Europas, lokale Produktionsanteile. Eine Form des Protektionismus, der in Frankreich funktioniert, aber nicht in Deutschland.

Hinzu kommen die hausgemachten Probleme abseits der unrealistischen Ausbaupläne des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck und seiner Landeskollegen. Wie bei vielen größeren Bauprojekte fehlt es auch für die Montage neuer Windräder an allem: den Anlagen, der Logistik, der Infrastruktur beim Anschluß, den Arbeitern für den Aufbau und den Genehmigungen. Als Folge werden die inländischen Aufträge seitens der Kapitalgeber zunehmend als risikobehaftet eingestuft, was Investoren trotz der Subventionen verschiedenster Art zunehmend abschreckt.

Die Renditen größerer Anlagen in anderen Ländern erscheinen dem Kapitalmarkt attraktiver. Die dort zu bauenden, noch größeren Windräder überfordern nicht nur die deutschen Produktionsanlagen, ihre Entwicklung in Deutschland ist zudem unrentabel. Im Jahr 2021 betrug die durchschnittliche Höhe neuer Anlagen 206 Meter inklusive der 133 Meter Durchmesser des Rotors an einer Nabe in Höhe von 140 Metern. Die neueren, fernsehturmhohen Anlagen hätten nicht nur Genehmigungsprobleme bezüglich der Abstandsregeln wie der Fundamente, sondern würden auch in der Nachbarschaft zu kleineren Anlagen deren Stromproduktion durch Verwirbelungen stören.

Als Folge aller Probleme verschwinden die Produktionsstätten für Windkraftanlagen, um, wie vor einigen Jahren im Bereich Photovoltaik, in anderen Ländern wieder aufgebaut zu werden. Diese Länder haben dann nicht nur den regionalen Markt, sondern auch beispielsweise günstigere Energiepreise. Mit Nordex schließt ein weiterer, von Verlusten getroffener globaler Anbieter seinen letzten Produktionsstandort in Rostock. Das dortige Werk mit 600 potentiell arbeitslosen Mitarbeitern war zugleich der letzte deutsche Produktionsstandort für Rotorblätter. Bereits im Herbst des vergangenen Jahres hatte der dänische Windenergiekonzern Vestas seine Produktion in Lauchhammer geschlossen, was in der Folge den Verlust im ersten Quartal 2022 mit 765 Millionen Euro nur minderte. Der Verlust entstand, obwohl der Umsatz im Quartal um 30 Prozent gestiegen war.

Von stark steigendem Umsatz im schwierigen Marktumfeld ist das ehemalige deutsche Flaggschiff der Windenergiebranche, Siemens-Gamesa, weit entfernt. Das einst als Zukunft der abgespaltenen Siemens-Energiesparte gefeierte Fusionsunternehmen mit dem spanischen Anlagenbauer Gamesa veröffentlichte mehrere Gewinnwarnungen – nun muß Siemens Energy seine verlustreiche Windkraft-Tochter komplett übernehmen, um zu retten, was noch zu retten ist. Das kostet Milliarden – zusätzlich zu den exorbitant gestiegenen Materialpreisen.

Chinesische Hersteller freuen sich auf deutsche Fördermilliarden

Doch die Krisen der europäischen Windanlagenhersteller erschüttern den Weltmarkt kaum noch. Bereits heute sind sieben der zehn größten Windkraftanlagenbauer chinesische Firmen, deren Wachstumszahlen, technische Fähigkeiten und Kostenstrukturen den ehemaligen Weltmarktführern aus Europa teilweise stark überlegen sind. Und so zeichnet sich ab, was mit dem Bau der ersten Windräder in Deutschland aus der Produktion des chinesischen Herstellers Goldwind dieser Tage begann: Um auch nur ansatzweise in die Nähe der geplanten Ausbauzahlen für Windenergie zu kommen, werden Unternehmen aus dem Reich der Mitte an den steigenden Weltmarktpreisen für Anlagen verdienen, die sie auf dieselnden Schiffen oder in Spezialfliegern um die halbe Welt transportieren.

Aber da ist doch der vorige Woche von Habeck im jütländischen Esbjerg verkündete „Green Power Plant of Europe“, nach dem die installierte Windstromleistung auf der Nordsee vervierfacht und bis 2030 auf unglaubliche 65 Gigawatt (GW) – das entspräche 45 AWKs oder 25 großen Braunkohlekraftwerken – gesteigert werden soll? Die installierte deutsche Offshore-Windleistung würde so von 7,8 auf 30 GW steigen. Der Rest soll auf den Nordseeterritorien von Dänemark, Belgien und den Niederlanden errichtet werden. Die milliardenschwere Finanzierung soll von der EU kommen – Stichwort: Energieunabhängigkeit von Rußland.

Doch die Windkraft auf See dominieren nur drei Firmen: Siemens-Gamesa (Deutschland/Spanien), Vestas (Dänemark) und GE Renewable Energy (Frankreich/USA). Aber können die ihre Produktion so einfach steigern? Die größten Herstellungskapazitäten hat auch hier längst China. Und woher kommt der Strom, wenn der Wind nicht weht?

EU-Plan „Green Power Plant of Europe“: bmwk.de

Foto: Im Seehafen Rostock liegen fertige Rotorblätter vom Windenergieanlagen-Hersteller Nordex, im Hintergrund der 95 Meter hohe blaue Bockkran der insolventen MV Werft: Der neue EU-Plan „Green Power Plant of Europe“ soll die installierte Windstromleistung auf der Nordsee bis 2030 vervierfachen