© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Eric Gujer. Der liberalkonservative Journalist hat den renommierten Börne-Preis – das soll sich nicht wiederholen.
Zu rechts für Deutschland
Regina Bärthel

War das ein Eklat in der Frankfurter Paulskirche, dem Symbol für freiheitliche Demokratie in Deutschland? Am 22. Mai wurde hier der mit 20.000 Euro dotierte Ludwig-Börne-Preis an Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, verliehen. Jährlich zeichnet die Börne-Stiftung damit einen „deutschsprachigen Autor in den Bereichen Reportage, Essay und Kritik“ aus. Preisrichter für 2022 war der niederländische Schriftsteller Leon de Winter, dessen Wahl auf Gujer fiel, denn dieser „setzt sich für kritisches, selbständiges Denken, für Toleranz und individuelle Freiheit ein – mit einem klaren liberalen Standpunkt“. 

Ganz anderer Meinung ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Schweizer Journalist sei verantwortlich für einen „Rechtsruck“ der NZZ, befindet Volontärin Othmara Glas, die zuvor für die taz, die linksradikale Jungle World und das Neue Deutschland schrieb. Als Zeugen zitiert sie den Essener Politologen Claus Leggewie: Gujer habe die NZZ für ein Publikum geöffnet, das keinen „gesunden Konservatismus“ mehr vertrete.

Der allerdings sieht lediglich den „bürgerlich liberalen Kurs“ der NZZ etwas geschärft, seit ihm 2015 die Chefredaktion übertragen wurde. Geboren 1962 in Zürich, begann Gujer 1986 als Praktikant und freier Mitarbeiter der renommierten Zeitung, wurde 1989 Korrespondent in der gerade noch bestehenden DDR und begleitete die Wendezeit. Anschließend berichtete er aus Israel, Moskau und wieder Berlin, bis er 2013 das Auslandsressort übernahm.

Frankfurts Kulturdezernentin blieb aus Protest der Ehrung fern und will künftig das Auswahlverfahren ändern.

Als „Chefredaktor“, wie es in der Schweiz heißt, weitete er das Angebot der NZZ in Richtung Deutschland aus. Gujer kennt die Deutschen gut, hat er doch in den achtziger Jahren beim Mannheimer Morgen volontiert und in Freiburg und Köln Geschichte, Politik und Slawistik studiert. Mit seinem täglichen Online-Newsletter „Der andere Blick“, der Analysen und Kommentare speziell für deutsche Leser bietet, wirbt er hierzulande um Abonnenten, wohl wissend, daß Distanz zu mehr Sehschärfe führen kann. 

Explizit plädiert Gujer für offene Debatten: „Demokratie heißt: Man setzt sich mit Standpunkten anderer auseinander.“ In Deutschland dagegen herrsche eine Art Konsensdemokratie, in der „neue Tugendwächter“ von links wie rechts die Redefreiheit relativierten. Zum Schaden der Mitte, die sich mehr und mehr entfremde. 

Und die deshalb möglicherweise lieber die NZZ statt der FAZ abonniert. Was die Frage aufwirft, ob der Vorwurf eines ungesunden Rechtsrucks die Meinung einer linken Jungjournalistin ist oder ein Schachzug im Kampf des Mediums um Leserschaft? Beides wäre zu kurz gegriffen; steht in Deutschland doch inzwischen Moral über Diskurs. Das zeigt auch Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig, Vorstandsmitglied der Börne-Stiftung: sie blieb nicht nur der Preisverleihung aus Protest fern – denn Gujer stehe für nationalkonservativen Diskurs und nicht in der Tradition der demokratischen Verständigung Börnes –, sondern will künftig auch das Auswahlverfahren ändern, wohl damit sich der Fall Eric Gujer nicht wiederholen kann. 

Doch wo hätte nun der Journalist, Literaturkritiker und Unruhestifter Ludwig Börne den Eklat gesehen? Er sagte einst: „Es gibt nur eine verwerfliche Meinung: die verwerfende – welche keine andere als die ihr gleiche duldet.“