© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Christliche Rüstzeiten
Pfingsten: Die Kirchen werden kleiner / Kirchenrechtler kritisiert angesichts der Ukraine-Krieges protestantische „Ponyhof“-Theologie
Christian Vollradt

Pfingsten, nach Weihnachten und Ostern das dritte der christlichen Hauptfeste im Kirchenjahr, gilt als Geburtstagsfeier der Kirche. Doch nach Partystimmung sieht es in den beiden „großen“ Konfessionen derzeit nicht aus. So gehörten Ende vergangenen Jahres erstmals unter 20 Millionen Personen einer der Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Ende 2020 lag die Mitgliederzahl noch bei über 20,2 Millionen. Mehr Sterbefälle als Taufen sind nicht der einzige Grund für den nagativen Saldo. Der Nachrichtenagentur idea zufolge traten 280.000 Personen aus einer der EKD-Gliedkirchen aus. Die Katholische Kirche gibt ihre offiziellen Mitgliederzahlen im Sommer bekannt, doch auch hier wird mit einer hohen Zahl von Austritten gerechnet, teilweise bedingt durch den erneut debattierten Umgang mit den Mißbrauchsfällen (JF 5/22).

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus  appellierte, die Kirche solle „sinkende Mitgliederzahlen und anhaltend hohe Austrittszahlen nicht als gottgegeben hinnehmen“ und dort, wo es möglich sei, „entschieden gegensteuern“.

Gegenzusteuern, das forderten auf einer inhaltlichen Ebene jüngst mehrere Theologen angesichts des Krieges in der Ukraine. Sie kritisierten dabei die von den Kirchen nach außen vertretene Friedensethik. Der Satz „Frieden schaffen ohne Waffen“ habe in gewisser Weise abgedankt, sagte etwa der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA. In einer „neuen Welt“ müsse man bereit sein, „einem Aggressionskrieg mit der Androhung von Gewalt  gegenüberzutreten, dabei aber eben ein Ziel zu haben: daß es Frieden geben muß“, meinte der Essener Oberhirte. Und sogar sein Mainzer Amtsbruder Peter Kohlgraf, der zugleich Präsident der katholischen Friedensbewegung Pax Christi ist, forderte ein neues Nachdenken angesichts der aktuellen Entwicklungen – nicht nur in Kirche und  Theologie, sondern „auch bei Pax Christi“. Er kritisierte unterdessen aber zugleich, daß in den aktuell „sehr überhitzten Debatten“ die Vertreter eines strikten Pazifismus als „als fünfte Kolonne Moskaus“ dastünden. Heftige Kritik an manchen Äußerungen führender Vertreter des deutschen Protestantismus in bezug auf den Krieg in der Ukraine übte indes der Göttinger Kirchenrechtler Hans Michael Heinig. Die in Kreisen der evangelischen Kirche weit verbreitete radikalpazifistische Ansicht, es solle auf die „rechtserhaltende Gewalt“ verzichtet werden, bezeichnete er im Gespräch mit dem evangelischen Pressedienst epd als „Ponyhof-Theologie“. Ein ukrainischer Gewaltverzicht münde nicht in einen gerechten Frieden, sondern in „Kolonialisierung, Unterwerfung und kultureller Auslöschung“. Verlautbarungen, „die das nicht klar benennen, sondern schlicht zur Mäßigung ‘beider Seiten’ aufrufen, wirken deshalb in bedrückender Weise zynisch“, meinte der Leiter des Kirchenrechtsinstituts. 

Er kritisiert damit unter anderem den EKD-Friedensbeauftragten und Landesbischof der Mitteldeutschen Kirche, Friedrich Kramer, der sich wiederholt gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen eine Erhöhung der Militärausgaben ausgesprochen hatte. Die nach wie vor gültge Friedensdenkschrift der EKD von 2007 liefere keine geeigneten Antworten auf die vom Krieg in der Ukraine aufgeworfenen Fragen, so Heinig. Nach evangelischem Verständnis sei es „gerade das Verstricktsein des Menschen im Bösen, was die rechtserhaltende Gewalt zunächst einmal auf den Plan ruft“, wobei der Mensch auch bei Ausübung dieser Gewalt „nicht dem möglichen Schuldigwerden“ entkomme, betonte der Professor für Kirchenrecht. 

Für eine Weiterentwicklung der evangelischen Friedensethik sprach sich auch der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm aus. Gerecht sei militärische Gewalt nie, aber es könne eben auch Situationen geben, „wo der Verzicht auf sie noch schrecklicher ist“, schrieb der bayerische Landesbischof in einem Gastbeitrag für die Herder Korrespondenz.

Vereinzelt mögen solche Überlegungen und Debatten auch Eingang in das Gemeindeleben oder Predigten finden. Woran sich unterdessen wahrscheinlich auch zu Pfingsten wenig ändern wird, ist der geringe Anteil der Kirchenmitglieder, die sonntags den Gottesdienst besuchen. In der EKD waren das – vor der Pandemie – durchschnittlich nur rund drei Prozent.