© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Der Westen klärt auf
Ukraine-Krieg: Mit Drohnen, Flugzeugen und Satelliten unterstützt die Nato Kiews Militär
Marc Zoellner

Ob von der Halbinsel Krim, der Millionenmetropole Rostow am Don oder dem kleinen Städtchen Naro-Fominsk, gut siebzig Kilometer südlich der russischen Hauptstadt Moskau gelegen: Dieser Tage häufen sich die Videos von Lastzügen mit jeweils Dutzenden Kampfpanzern als Ladung in den sozialen Netzwerken. Viele der gezeigten Fahrzeuge sind augenscheinlich bereits in die Jahre gekommen.  Doch für den Vormarsch der russischen Armee werden selbst diese alten Kriegsmittel dringend gebraucht: Gut einhundert Tage nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine konstatiert die ukrainische Regierung die Zerstörung von beinahe 1.350 russischen Panzern sowie mehr als 2.200 gepanzerten Mannschaftstransportwagen. 

Elon Musks Starlink-Satelliten sind mit von der Partie

Auch das britische Verteidigungsministerium erklärt, Rußland habe bereits „ein Drittel der Bodenkampftruppen verloren, die seit Februar eingesetzt waren.“ Etwa 50.000 russische Soldaten seien somit bislang getötet oder verwundet worden. Mit mobilen Einberufungsbüros versuchen die Streitkräfte Rußlands derzeit, ihre Lücken auf den Schlachtfeldern zu füllen. „Diese mobilen Büros wurden in der nordrussischen Stadt Archangelsk gesichtet, in Städten der benachbarten Oblast Murmansk sowie auf einem Konzert für den Krieg in Seweromorsk“, dem Hauptsitz der russischen Nordflotte auf der Halbinsel Kola, berichtet die Moscow Times. 

Nach seinen gescheiterten Vorstößen bei Kiew und Charkiw im Norden sowie Mykolajiw, westlich der Großstadt Cherson am Schwarzen Meer, verlegt Moskau derzeit einen Großteil seiner Truppen in den Donbass, um in einer Zangenbewegung die strategisch bedeutsamen Zwillingsstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk einzukesseln. Beide Städte erleiden derzeit verheerende Bombardements seitens russischer Artillerie. 

Doch auch diesem versuchten Vormarsch der russischen Streitkräfte könnte Kiew mit seiner überraschend unkonventionellen Kriegsführung ein baldiges Ende bereiten, sehen sich Militärexperten überzeugt – dabei auch auf die Unterstützung westlicher Überwachungssysteme setzen.

„Die ukrainische Armee hat sich in eine wirklich ausgefallene Kombination zwischen zentralisierter und dezentralisierter Strategie gestürzt“, bestätigt Danny Orbach, Professor für Militärgeschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, im Interview mit der Jerusalem Post. Unerläßlich für derartige Einsätze ist eine präzise wie aktuelle Aufklärung des Geschehens. Die Ukraine kann hierfür nicht nur auf unbemannte Drohnen westlicher und türkischer Bauart zurückgreifen, sondern ebenfalls auf das „Starlink“-Satellitensystem des milliardenschweren Unternehmers Elon Musk.

So gelang es russischen Truppen zwar vergangenen Freitag, die Kleinstadt Lyman am nördlichen Zangenkopf zum Donbass einzunehmen. Die Überschreitung des Flusses Siwerskyj Donez, des rund tausend Kilometer langen Nebenflusses des Don, vermochte die russische Armee jedoch gleich dreifach nicht: „Als die Russen versucht haben, über zwei Pontonbrücken den Fluß zu überqueren, kam es zu einem vernichtenden Abwehrfeuer“ seitens der ukrainischen Armee, erläutert Oberst Markus Reisner vom Österreichischen Bundesheer. „Man nimmt an, daß vermutlich zwei Bataillonstaktische Gruppen hier zerschlagen, wenn nicht gar vernichtet wurden.“ 

In einem Videovortrag auf Youtube zeigt Reisner detailliert, wie die Ukraine seit 2017 ihre Taktik der Artilleriestellung änderte, indem einzelne Artilleriegeschütze dezentral positioniert wurden, um Verluste durch Gegenfeuer zu minimieren. Die aufwendige Kommunikation zwischen Zielerfassung und Artillerie geschehe dabei mittels des „Starlink“-Systems.

Mit „Starlink“ verknüpft seien derzeit über 6.000 kommerzielle wie militärische Drohnen, die für die ukrainische Armee Aufklärung betreiben, berichtete kürzlich Valerii Iakovenko, der Gründer der Kiewer Drohnenfabrik „DroneUA“. Das bekannteste Modell darunter ist die türkische „Bayraktar TB2“, die sich bereits 2020 im Krieg Aserbaidschans gegen Armenien bewährt hatte. Dieser Drohne haben ukrainische Soldaten sogar einen eigenen Song gewidmet, in dem es heißt: „Der Kreml schickt Propaganda ins Land, welche die ganze Nation glaubt. Aber ab heute kennt ihr Zar ein neues Wort: Bayraktar!“ 

Neben der Luftaufklärung und der Bombardierung russischer Konvois dienen die Drohnen der Ukraine jedoch besonders der moralischen Stärkung durch die filmische Verbreitung von Kriegserfolgen. Ganz anders mutmaßlich jene, welche die Nato-Staaten einsetzen. Bereits Anfang Mai berichtete die New York Times, die Vereinigten Staaten hätten der Ukraine „Informationen über russische Einheiten bereitgestellt, welche den Ukrainern erlaubten, russische Generäle anzuvisieren und zu töten.“

Drohnen fliegen im Dauereinsatz um das Kriegsgebiet

Tatsächlich betreiben fünfzehn europäische Nato-Staaten, darunter auch Deutschland, gemeinsam mit den USA vom Militärflugplatz im sizilianischen Sigonella seit Ende 2019 eine Flotte von fünf „Global Hawk“-Drohnen. Schon Mitte März standen die Aufklärer neuester Bauart, die in der Herstellung pro Stück etwa 120 Millionen Euro verschlagen und eine Flughöhe von über 15 Kilometer erreichen, im Dauereinsatz über dem Schwarzen Meer und der Ukraine. „Unsere Geheimdienstanalysten erhielten dadurch die enorme Gelegenheit, ihren höheren Kommandostrukturen detaillierte Auswertungen zukommen zu lassen“, erklärte Houston Cantwell, Kommandeur der „Alliance Ground Surveillance“ (ASG), des Aufklärungsprogramms der Nato auf Sizilien. Die Flugkorridore der Drohnen verliefen dabei sowohl über Griechenland und Bulgarien als auch über deutschen Luftraum. 

Das 550 Mann starke Team der Drohnen verteilt sich neben Italien auf die belgische Stadt Mons, den Sitz des militärischen Hauptquartiers der Nato, sowie die in Deutschland gelegene „Ramstein Air Base“. Neben der Nato haben auch die USA zwei eigene „Global Hawks“ auf Sizilien stationiert. Nach der Versenkung des russischen Flaggschiffs „Moskwa“ durch zwei ukrainische Neptun-Raketen im April hatte die Washington Post unter Berufung auf interne Quellen bereits bestätigt, daß „dieser Angriff ohne die Beihilfe der USA nicht möglich gewesen wäre“. 

Inwieweit die Aufklärung zur aktuellen Position der Moskwa im Schwarzen Meer allerdings durch Satelliten oder durch Drohnen wie die „Global Hawk“ geschah, bleibt weiter hinter Schleiern.

Foto: Global-Hawk-Drohne im Einsatz: Das Nato-Programm Alliance Ground Surveillance unterstützt die Ukraine mittels Gefechtsfeldüberwachung