© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Ein Netz ist schon zerrissen
Gazprom-Imperium: Gaslieferung, Leitungen, Lagerstätten – wie es dazu kam, daß Deutschlands kritische Infrastruktur einem von Moskau kontrollierten Konzern überlassen wurde. Mit Huawei steht die nächste strategisch motivierte Einmischung bevor
Hinrich Rohbohm

Für die deutsche Energieversorgung ist er von entscheidender Bedeutung. Der unterirdische, in 2.000 Metern Tiefe befindliche Gasspeicher in der niedersächsischen Samtgemeinde Rehden im Landkreis Diepholz zählt mit einer Kapazität von über vier Milliarden Kubikmetern zu dem größten Erdgasreservoir in Westeuropa. Der Energieverbrauch von zwei Millionen Haushalten könnte davon ein ganzes Jahr lang abgedeckt werden. Allein an diesem Ort befinden sich 20 Prozent der gesamten Lagerkapazität Deutschlands, der zugleich als Knotenpunkt für deutsche Erdgasleitungen fungiert.

Sowohl die Rehden-Hamburg-Gasleitung (RHG) als auch die Nordeuropäische Erdgasleitung (NEL), die Mitte-Deutschland-Anbindungsleitung (MIDAL) und die Nord-West-Anbindungsleitung (NOWAL) laufen hier zusammen. Die NEL-Pipeline verläuft von Rehden über 440 Kilometer gen Osten ins vorpommersche Lubmin, ist dort mit der Ostseepipeline Nord Stream verbunden, über die Gas aus den russischen Lagerstätten nach Deutschland gepumpt wird.

Mit 51 Prozent an der Pipeline beteiligt ist die Gascade Gastransport GmbH, eine Tochtergesellschaft der Wiga Transport Beteiligungs-GmbH, die wiederum ein Gemeinschaftsunternehmen von Wintershall Dea und Gazprom Germania ist.

Bis zur Liquidation am 1. April dieses Jahres war Gazprom Germania über sein Tochterunternehmen Astora Betreiber des Gasspeichers von Rehden. Und damit letztlich der vom russischen Staat kontrollierte Gazprom-Konzern. Mit anderen Worten: Deutschland hatte sich gegenüber dem Putin-Regime nicht nur auf die Abnahme von Gas verpflichtet, sondern gestattete ihm auch die Kontrolle über die Pipeline-Transportwege und die größte Speicherstätte des Rohstoffes, einem maßgeblichen Teil der deutschen Energieversorgung.

Wer in Deutschland macht so etwas möglich? Bis 1993 förderte die BASF-Tochterfirma Wintershall in Rehden Gas. Dann waren die Ressourcen aufgebraucht, das Unternehmen nutzte den Standort fortan als unterirdischen Speicher. Im Jahre 2013 fädelte der Mutterkonzern BASF mit Gazprom einen folgenreichen Tausch ein, der dem russischen Energieriesen Anteile an deutschen Erdgasspeichern überließ.

Die EU-Kommission hätte ihre Zustimmung zu dieser Preisgabe kritischer Infrastruktur an das autoritäre Regime eines Nato-Feindstaats unterbinden können, nickte den Deal jedoch ab. Der damals zuständige EU-Kommissar für Energie hieß Günther Oettinger (CDU). Ein Jahr später überfiel Rußland im Rahmen einer hybriden Kriegsführung die Krim und das ukrainische Donezbecken, annektierte die Halbinsel völkerrechtswidrig. Die EU reagierte mit Sanktionen, der Gazprom/BASF-Tausch wurde kurzfristig ausgesetzt. Um ihn nur ein Jahr später doch zu vollenden.

Litwinenko und Felschtinskij hatten beizeiten vor Putin gewarnt

Grundlage dafür war das Minsker Abkommen. Dessen maßgebliche Architektin: die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Ein Abkommen, das der amerikanische Historiker und Autor des gemeinsam mit dem ermordeten ehemaligen FSB-Agenten Alexander Litwinenko verfaßten Buches „Eiszeit im Kreml. Das Komplott der russischen Geheimdienste“, Jurij Felschtinskij, damals scharf kritisierte: „Die Minsker Verträge sind für Putin eine militärische List zur Umgruppierung der Streitkräfte und zum Überdenken der Situation. Sie sind so zusammengestellt, daß Rußland zu nichts verpflichtet wird. Sämtliche Verpflichtungen übernehmen die Separatisten oder Kiew, und sogar Europa – aber nicht Rußland.“

Indirekt durch das Minsker Abkommen erlangte Gazprom somit die Kontrolle über den Gasspeicher von Rehden und den Speicher im ostfriesischen Jemgum, erhielt zudem Anteile am Speicher im österreichischen Haidach bei Salzburg. „Es war ein Fehler“, gestand kürzlich Wolfgang Schäuble (CDU) zu Merkels Appeasement-Politik gegenüber Rußland in der Fernseh-Talkshow Maischberger ein. „Sie weiß, daß ich nicht ihrer Meinung war, wie viele andere auch.“ Meinungen und Zweifel, über die sich Merkel damals offenbar hinwegsetzte.

Die Genehmigung für den Gazprom-Coup erteilte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), einstiger politischer Ziehsohn Schröders und heutiger Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Gleichzeitig beteuert die Bundesregierung noch heute: „Die Versorgungslage ist derzeit nicht gefährdet.“ Angaben der Aggregated Gas Storage Inventory (AGSI) zufolge betrug der Füllstand des Rehdener Gasspeichers Ende April dieses Jahres dagegen noch gerade einmal 0,51 Prozent.

Schon vor einem Jahr lag er demnach mit 6,54 Prozent in einem kritischen Bereich. Weder die damalige Kanzlerin noch der damals zuständige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) reagierten. „Da hätte man also spätestens dann sich schon wundern können, was für ein strategisches Ziel dahintersteckt“, bewertete der Energiemarkt-Experte Fabian Huneke von der Agentur Energy Brainpool am 15. März dieses Jahres gegenüber der „Tagesschau“ die Situation. Zum Vergleich: Ende April 2020 lag der Füllstand bei 95,34 Prozent, am 25. April 2019 bei zumindest 54,2 Prozent.

Der Versuch, mit Mitarbeitern vor Ort ins Gespräch zu kommen, scheitert. „Kein Kommentar“, sagt einer kurz und knapp. Im Ort Rehden selbst ist der leere Gasspeicher dagegen durchaus ein Gesprächsthema. „Im Ort geht die Geschichte rum, daß zwar Gas eingespeichert, aber dann sofort wieder ausgespeichert wird“, erzählt eine Anwohnerin der JF. Die Vermutung einiger im Ort sei, daß es sich bei den Ausspeicherungsaktivitäten um Gazprom selbst handeln dürfte, um eine Wiederauffüllung der Anlage zu sabotieren. Auffällig: Auch im zweitgrößten Gasspeicher Mitteleuropas, im österreichischen Haidach, liegt der Füllstand noch bei annähernd null Prozent.

Daß Gazprom überhaupt in kritische Infrastruktur investieren konnte, liegt an der im Jahre 2002 erfolgten EU-Liberalisierung der Energiemärkte. Maßgeblichen Anteil daran hatte der damalige noch als „Genosse der Bosse“ gefeierte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der damals „mit Nachdruck“ auf die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte gedrängt hatte und vor fast auf den Tag genau zwanzig Jahren sagte: „Wir werden darauf drängen, daß dies auch wirklich passiert.“

Während die Bundesregierung im Hinblick auf Gazprom mittlerweile umsteuert, laufen die Verflechtungen mit dem Megakonzern eines anderen totalitären Regimes unbekümmert weiter. Bereits seit Jahren bearbeitet der chinesische Technologie-Gigant Huawei die deutsche Politik. Während der Konzern in den USA längst als Staatsfeind angesehen wird, stößt er in Deutschland selbst nach dem Beginn des Ukraine-Krieges und dem damit einhergehenden Platzen der Gazprom-Seifenblase auf offene Türen. Trotz Spionage-Vorwürfen. Trotz der offensichtlichen Nähe des Unternehmens zur Kommunistischen Partei Chinas und zum Militär.

Auch hier war es Angela Merkel, die sich über Bedenken deutscher Nachrichtendienste einschließlich der Amerikaner hinwegsetzte und sich für eine Beteiligung von Huawei am Ausbau des 5G-Netzes stark machte. Sogar der damalige US-Präsident Donald Trump warnte die Kanzlerin vor den Gefahren von Abhängigkeiten. Vergeblich.

Huawei sitzt bei der Allianz für Cybersicherheit mit am Tisch

Besonders auf Parteitagen ist Huawei präsent, macht Fotos mit Spitzenpolitikern, auch mit Angela Merkel. 2018 besuchte die damalige Kanzlerin die Konzernzentrale in Shenzhen. Unternehmensgründer ist der Chinese Ren Zhengfei, ein Ingenieur, der nach seinem Studium für eine IT-Spezialeinheit am Forschungsinstitut der Volksbefreiungsarmee arbeitete und noch heute über enge Kontakte zum chinesischen Militär verfügt. Kontakte, die ihm nicht zuletzt die zahlreich erhaltenen chinesischen Regierungsaufträge eingebracht haben dürften.

In München unterhält Huawei sein europäisches Forschungszentrum, kooperiert darüber eng mit deutschen Universitäten und Forschungsinstituten, wie etwa den Fraunhofer-Instituten oder der Technischen Universität Aachen.

Auch in zahlreichen deutschen Fachgremien sitzt Huawei somit am Tisch. Trotz der aggressiver werdenden Töne aus Peking, der Erpressungsversuche gegen EU-Mitgliedsstaaten und trotz der jüngst erneut bekanntgewordenen Folterungen und Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang.

Bei der Bitkom leitet der Konzern den Arbeitskreis Kommunikationstechnologien, bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften sitzt er mit im Senat.

Selbst in der 2012 gegründeten Allianz für Cybersicherheit ist Huawei vertreten. Die Allianz dient als Plattform für den Austausch von Informationen über aktuelle Bedrohungslagen. Angesichts der zunehmenden Cyber-Attacken Chinas klingt das fast wie ein schlechter Scherz.

Foto: Pipeline Nord Stream 2 läuft ins Leere (Symbolbild): Nur wegen der EU-weiten Liberalisierung der Energiemärkte konnte Gazprom in das deutsche Gasnetz einsteigen. Auf die Liberalisierung hatte der damalige Kanzler Schröder gedrungen