© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Im Ideenkosmos des Kulturprotestantismus
Zeitgeist und Christentum
(dg)

In der Kaiserzeit galt die von dem linksliberalen Marburger Theologen und Politiker Martin Rade 1886 begründete Zeitschrift Christliche Welt (CW) als meinungsführendes Organ des deutschsprachigen „Kulturprotestantismus“. Ziel Rades und seiner Heerschar von Beiträgern war der Entwurf eines mit der Moderne versöhnten Gegenwartschristentums, das auch jenseits der Teilnahme am kirchlichen Leben als „Beteiligung an der Kulturarbeit“ in Erscheinung trat. Das schloß intensive Auseinandersetzungen mit dem damals vor allem von Charles Darwin geprägten naturwissenschaftlichen Weltbild ein. Auch anderen „zeitgeistigen“ Herausforderungen des christlichen Menschen- und Weltbildes, wie sie sich in Kunst, Musik, Literatur, Wissenschaft und anderen „modernen Kulturphänomenen“ artikulierten, widmete die Zeitschrift, die erst 1941 ihr Erscheinen einstellte, hohe Aufmerksamkeit.  Das macht sie heute zur herausragenden Quelle der Theologie-, Geistes- und Kulturgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die jedoch weitgehend im dunkeln liegt. Das soll sich mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt „Zeitgeist und Christentum“ ändern. Am Lehrstuhl des Münchner Theologen Jörg Lauster wird daher dieser „Ideenkosmos des Kulturprotestantismus“ mit den Möglichkeiten digitaler Texterschließung systematisch analysiert. Für Lauster ist das kein antiquarisches Unternehmen, da die zentrale Frage der Christlichen Welt weiter aktuell sei: „Wie kann die christliche Religion in einer überwiegend ohne religiöse Bezüge funktionierenden Weltauffassung glaubhaft Weltorientierung bieten?“ (forschung, 1/2022). 


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