© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Anstehende Bewährungsproben für Homo sapiens
In Wüsten überleben
(dg)

Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist seine globale Anpassungsfähigkeit. Die der in „freier Wildbahn“ zum Tode verurteilte Homo sapiens seiner Intelligenz verdanke, wie der Sozialphilosoph Arnold Gehlen (1904–1976) behauptet. Sie ermögliche es ihm, selbst noch menschenfeindlichste Umgebungen gezielt zu verändern. Allerdings, so ist dem deutsch-israelischen Publizisten Chaim Noll aufgefallen (Sinn und Form, 5/6-2022), habe Gehlen als typisches Kind der mitteleuropäischen Zivilisation die Anpassungsfähigkeit des „Mängelwesens Mensch“ erheblich unterschätzt. Denn eine Existenz in „Extrem-Biotopen“ wie Eis- und Sandwüsten konnte er sich nicht vorstellen. Diese Ausschließung des „Nichts“ als denkbarer Lebensraum zeuge von Gehlens Befangenheit im Wüstenbild der abendländischen Denktradition. Darum habe diese Ikone der Konservativen, dem technizistischen Geist um 1960 ganz verfallen, nach Siedlungsalternativen eher im Weltraum als auf der Erde gesucht. Die von ihm phantasierten „Außenweltexperimente“ und Vorschläge für „transterrestrische Raumnahmen“ erinnern tatsächlich an den posthumanistischen Utopismus à la Jeff Bezos und Elon Musk, Tech-Milliardären, die die von ihnen und ihresgleichen ruinierte Erde auf dem schnellsten Wege verlassen wollen. Für Noll hingegen bliebe auf dem der „Versteppung anheimfallenden Planeten“, auf dem die „Hungergebiete“ sich ausdehnen, noch einiges gegen die nahende Misere zu tun. Vor allem könne der Mensch nun zeigen, wie weit seine Fähigkeit gehe, auch in verwüsteter Umwelt mittels „intelligenter Handlung“ zu überleben. 


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