© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Aus dem Leben einer Starjournalistin
Kino: Der französische Spielfilm „France“ von Bruno Dumont entmythologisiert den Beruf des Fernsehreporters
Dietmar Mehrens

Sie prangt großformatig auf Werbeplakaten und im Hintergrund ihrer eigenen Sendung, einer wilden Mischung aus „Weltspiegel“ und „Maischberger“. Bei ihren Reportagen sorgt sie dafür, daß sie immer ins rechte Bild gesetzt wird. Mit Narzißmus hat das natürlich nichts zu tun. Es sei, erklärt sie auf kritische Nachfrage einer Kollegin, einfach ihre Methode, den Zuschauer zu sensibilisieren. Personalisierung zwecks Emotionalisierung. So sieht es France de Meurs (Léa Seydoux), Frankreichs famoseste Journalistin. So sieht es auch der Spiegel und ließ so einen Claas Relotius groß werden.

Regisseur Bruno Dumont zeigt seine charismatische Hauptfigur bei Aufnahmen unter IS-feindlichen Milizen, im Kugelhagel von Krisengebieten und bei der Bewältigung der eigenen Ehekrise. Denn natürlich hat France weder für ihren zehnjährigen Sohn noch für ihren Ehemann die nötige Zeit.

Tränenreiche Zusammenbrüche vor laufender Kamera

Zwangsläufig zeichnen sich bald Risse in der strahlenden Fassade der erfolgreichen Meisterjournalistin ab: Tränenreiche Zusammenbrüche vor laufender Kamera, eine Panikattacke nach einem Gespräch mit einem stramm rechten Politiker, Gespräche beim Therapeuten deuten darauf hin, daß France bei weitem nicht so bravourös alle Herausforderungen meistert, wie es in der Öffentlichkeit ankommt. Als sie mit ihrem Auto einen Einwanderer auf seinem Motorroller anfährt und die Bilder von dem Unfall prompt im Internet landen, hat France ihren ersten waschechten Skandal. Es wird nicht der einzige bleiben, und gegen Ende des Films lauern gleich zwei Katastrophen auf die Superreporterin, die sie komplett aus der Bahn zu werfen drohen.

Bruno Dumont hat allerhand hineingepackt in sein Porträt einer erfolgsverwöhnten Frau. Am Rande handelt er Themen der französischen Politik ab: die Migration und die Frage nach der Souveränität Frankreichs im geplanten EU-Superstaat, ein Thema, das bei den Deutschen überhaupt noch nicht angekommen ist. Ein echter Emmanuel Macron und eine falsche Angela Merkel haben Gastauftritte. Vor allem geht es Dumont aber um die Entmythologisierung des Journalistenberufs. Er wandelt damit in den Spuren von Vorbildern wie „Schlagzeilen“ (1994) oder „15 Minuten Ruhm“ (2001), die Getriebene zeigen, deren Idealismus oft genug auf der Strecke bleibt. 

Natürlich ist France eine selbstverliebte Person. Natürlich dient ihr zur Schau gestellter Idealismus vor allem der Selbstinszenierung. Sie beklagt sich an einer Stelle sogar selbst darüber, daß ihr Stolz nach ein paar unerfreulichen Ereignissen gelitten habe. Als durch ein Versehen ein Mikrofon angeschaltet bleibt und dadurch respektlose Kommentare ihrer Redaktion nach außen dringen, hat France nach dem Roller-Unfall ihren nächsten Skandal. 

Dumont möchte seine alles in allem sympathisch gezeichnete Protagonistin indes nicht zu sehr beschädigen. Schließlich darf die weibliche Zuschauerschaft, die eine starke Frauenfigur sehen will, nicht vor den Kopf gestoßen werden. Der meiste Berufszynismus bleibt daher Frances Produzentin Lou vorbehalten. Blanche Gardin, die Lou spielt, ist in Frankreich eine bekannte Komödiantin, eine französische Carolin Kebekus sozusagen, und sorgt für einen satirischen Einschlag, der aber zu schwach ist, um „France“ als Mediensatire zu bezeichnen. 

Die größte Schwäche der französisch-deutsch-italienisch-belgischen Co-Produktion, die 2021 auf dem Filmfestival in Cannes lief, dort aber ohne Preis blieb, sind die vielen Redundanzen und unnötig in die Länge gezogenen Einstellungen. „France“ schreitet oft quälend zäh voran und ist mindestens eine halbe Stunde zu lang. Französisches Kino eben.

Kinostart ist am 9. Juni 2022