© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Das spezielle ethische Prinzip
Rainer Hackel über Ernst Jüngers „heroischen Realismus“
Werner Olles

Über Ernst Jüngers Werk und die Wandlungen dieses Dichters gibt es inzwischen regalmeterweise Literatur. Der Germanist und Philosoph Rainer Hackel widmet sich jetzt in einem knapp 100 Seiten umfangreichen Essay dem „eigentümlichen Verhältnis von Dichten und Denken, durch das sich Jüngers Autorschaft auszeichnet“ und den „sich sukzessive offenbarenden Momenten der in der Schwebe gehaltenen geschichtlich-metaphysischen Wirklichkeit“. So habe Jüngers Absicht in seinen Büchern über den Ersten Weltkrieg nicht so sehr darin bestanden, „eine chronologisch exakte und ästhetisch sublimierte Schilderung seiner Kriegserlebnisse zu verfassen“, vielmehr sei es ihm darum gegangen, analog zu dem unmerklich sich verändernden Charakter des Krieges die Metamorphosen, die der Mensch als geschichtliches Wesen erlitt, wahrzunehmen und zu benennen. Damit ist jedoch auch ein wichtiger Aspekt des „heroischen Realismus“ benannt, der den Fluchtpunkt von Hackels Untersuchung des Werkes eines der größten deutschen Prosaisten, faszinierenden Denkers und „nationalrevolutionären“ Schriftstellers bildet.

Im „Arbeiter“ (1932) und den „Strahlungen“ (1949) habe Jünger bereits Positionen seines Frühwerks relativiert, die mit dem „heroischen Realismus“ charakterisiert werden können. Der Nationalbolschewist und Exilant Karl Otto Paetel hatte darauf schon in seiner Schrift „Ernst Jünger. Die Wandlung eines deutschen Dichters und Patrioten“ (1946) hingewiesen, in dem er aus dem Exil erkannte, wie der ihn in den 1920er Jahren stark beeinflussende Jünger sich in vielfacher Hinsicht von wesentlichen Teilen seiner ursprünglichen Diktion entfernte und seine frühere Auffassung vom Kriege „verjüngerte“.

Haeckel geht indes noch einen entscheidenden Schritt weiter, wenn er den „heroischen Realismus“ als ethisches Prinzip erkennt, das der Aufklärung verpflichtet sei. Jüngers Werk stelle einen Versuch dar, die Positionen der Moderne – Verlust religiöser Bindungen, Entsakralisierung der Kunst, Geschichtspessimismus, Sinnverlust, Ästhetizismus – in Frage zu stellen und zu überwinden. Damit gehe er über den Nihilismus von Gottfried Benn hinaus. Sich dem zentralen Tagebuch „Strahlungen“ zuwendend, das die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs begleitete, interpretiert Hackel dies als ein „Werk des Übergangs“, in dem Jünger Gedanken formuliere, die sich in späteren Werken des „magischen Idealismus“ wie „Über die Linie“, „Der Waldgang“, „An der Zeitmauer“, „Heliopolis“, vor allem aber in den beiden bedeutendsten anti-nationalsozialistischen Dokumenten „Gärten und Straßen“ und „Auf den Marmorklippen“ entfalteten.

Rainer Hackel: Welt und Dasein als Erfahrung im Werk Ernst Jüngers. Ein Essay. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2022, gebunden, 96 Seiten, 20 Euro