© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/22 / 03. Juni 2022

Nur Biolandbau ist keine Lösung
Die Ausweitung ökologischer Bewirtschaftung könnte die globale Ernährungskrise verschärfen
Dieter Menke

Der Umwelthistoriker Frank Uekötter (Universität Birmingham) blickt im aktuellen Themenheft „Landwirtschaft“ der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB; Aus Politik und Zeitgeschichte, 15-17/22) auf die Jahrzehnte der EWG- und EU-Agrarpolitik zurück, um ernüchtert zu bilanzieren, daß die Vorherrschaft der industriellen Landwirtschaft ungebrochen sei. „Durchschlagende Erfolge der Umweltpolitik im Agrarbereich“ ließen daher „immer noch auf sich warten“.

Mit der „Agrarwende“ im Rahmen des im Dezember 2019 von Kommissionschefin Ursula von der Leyen proklamierten „European Green Deal“ sollte sich das radikal ändern. Um in den EU-Staaten bis 2050 „Klimaneutralität“ zu erreichen, ist auch die Landwirtschaft im Visier: Bis 2030 soll der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln um die Hälfte, der von Düngemitteln um 30 Prozent reduziert werden. Für denselben Zeitraum soll auch der Bioanbau von jetzt zehn auf 25 Prozent der EU-Agrarfläche ausgeweitet werden. Im Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 steht sogar: „Wir wollen 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 erreichen.“

Kein ausreichender Ansatz zur Verringerung des „Fußabdrucks“

Es scheint, als würde damit eine lange zugunsten der Agrarindustrie stiefmütterlich behandelte Betriebsform nun als grüne Wunderwaffe aus dem Hut gezaubert. Aber wie immer bei „einfachen Lösungen“ ist Vorsicht geboten. Wie man seit Juni 2020 in dem 879seitigen Gutachten über eine „Politik für eine nachhaltigere Ernährung“ des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundeslandwirtschaftsministerium nachlesen kann.

Achim Spiller, Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Universität Göttingen und Vorsitzender dieses Beirats, zitiert daraus im selben BpB-Heft die Kernsätze: „Die immer weitere Ausdehnung des Ökolandbaus ist kein ausreichender Ansatz zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Landwirtschaft.“ Um die agrarbedingten Umweltprobleme Deutschlands zeitnah zu lösen, werde die konventionelle Landwirtschaft weiterhin gebraucht. Sie müsse sich zwar „deutliche Verbesserungen“ gefallen lassen. Aber „100 Prozent Biolandwirtschaft“ sei jedenfalls nicht „die Lösung“.

Warum nicht? Darauf gibt Spiller vier Antworten, die jede für sich die Komplexität der „Nachhaltigkeitsherausforderungen“ sichtbar machen, mit denen sich die Landwirtschaft im Widerstreit zwischen Ökologie und Ökonomie, Klimaschutz und Ernährungssicherheit in den Bereichen Umweltschutz, soziale Aspekte, Gesundheit und Tierwohl konfrontiert sieht.

Betrachte man die Ausgangslage im ersten Bereich, dem Umweltschutz, dränge sich der Ökolandbau auf den ersten Blick als alternativlos auf. Denn die Kapazitätsgrenzen der Erde – primär auf den Feldern Klimawandel, Stickstoffkreislauf, Artenvielfaltsverlust und chemische Einträge – seien bereits überschritten. Global trägt die herkömmliche Landwirtschaft mit zwölf Prozent aller anthropogenen Treibhausgasemissionen zum Klimawandel kräftig bei. Zudem sei die Tierhaltung wesentlich an der Überdüngung beteiligt. Und der intensive Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln forciere den rasanten Rückgang von Tier- und Pflanzenarten. Auf dem zweiten Sektor, dem des „sozialen Fußabdrucks“, zeigt sich für Spiller, was das vermeintliche Patentrezept einer ökologischen Agrarwende im globalen Süden anrichte.

Heute schon hungerten dort 800 Millionen Menschen. Und bis 2050 müsse die zusätzliche Nachfrage der bis dahin auf knapp zehn Milliarden Menschen wachsenden Weltbevölkerung gedeckt werden. Angesichts eines im Vergleich mit 2010 prognostizierten verdoppelten Mehrbedarfs von Lebensmitteln gelte es, die Erträge aus der Landwirtschaft weltweit zu erhöhen. Der Ukraine-Krieg gibt einen Vorgeschmack: Das Land war Weltmeister beim Sonnenblumenölexport, von dort kamen zwölf Prozent der Weizen-, 16 Prozent der Mais-, 18 Prozent der Gersten- sowie 19 Prozent der Rapsexporte (JF 22/22). Fällt das in diesem Jahr aus, droht in einigen armen Ländern Hungersnot.

Dieser Notwendigkeit dürfe sich die für die Welternährung mitverantwortliche EU-Agrarpolitik nicht unter Berufung auf den Primat der Ökologie verschließen. Zumal den Umweltvorteilen des Biolandbaus seine geringeren Erträge gegenüber stünden, die zwischen 19 und 25 Prozent niedriger als in der konventionellen Landwirtschaft liegen. Nicht zu übersehen sei überdies, daß mehr Fläche benötigt werde, um bei „Bioernten“ die gleiche Menge Nahrungsmittel zu erzeugen. Entsprechend relativierten sich die positiven Umweltwirkungen, wenn man nicht je Hektar Land, sondern je Kilogramm Produkt rechne: „Beim Klimaschutz unterscheiden sich der Ökolandbau und seine konventionelle Konkurrenz dann nicht mehr.“

Zu bedenken sei ferner: Wenn der Anteil an Biobetrieben in Deutschland steigt und gleichzeitig immer mehr Äcker für den Anbau von Energiepflanzen (derzeit 14 Prozent der deutschen Agrarfläche) mit nur „geringen Klimaeffekten“ okkupiert würden, könnte es unter dem Druck der wachsenden Weltbevölkerung bald automatisch dazu kommen, daß anderswo in der Welt mehr angebaut werden müsse, um deutsche und EU-Ausfälle zu kompensieren. Der Öko-Landbau ziehe zwangsläufig die Rodung von Regenwäldern nach sich, um auf den dadurch entstandenen Äckern Soja anbauen zu können. Unterm Strich seien solche aus edlen ökologischen Motiven verursachten Umweltschäden dann „so hoch wie die gesamten direkten Umweltschäden der konventionellen Landwirtschaft“. Auf eine Faustformel gebracht, heißt das: „Mit einem steigenden Bioanteil in Deutschland nehmen die direkten Umweltschäden ab – im Gegenzug aber gefährden wir wertvolle Flächen anderswo.“

Was passiert mit den Menschen mit niedrigem Einkommen?

In ähnlicher Schärfe entfalten sich Satz und Gegensatz beim dritten Nachhaltigkeitsproblem, der Gesundheit. Zur Frage, ob Biolebensmittel gesünder sind als konventionell erzeugte, ist die Forschungslage nicht eindeutig. Vorteile gebe es bei der Rückstandsfreiheit, etwa bei Pestiziden und beim Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung. Doch konnte bisher nicht überzeugend belegt werden, ob dies gesundheitlich von Belang ist. Unterschiede hinsichtlich weiterer gesundheitsrelevanter Eigenschaften wie Nährwertgehalt seien indes „sehr gering“.

Schließlich ergibt Spillers vergleichende Prüfung auf dem vierten Feld, dem Tierwohl, den einzigen klaren Punktsieg für die Biolandwirte. Ihre Betriebe erlaubten Haltungssysteme, die durch mehr Platz, Auslauf und Stroh mehr arteigenes Verhalten zuließen. Solche naturnäheren Systeme seien allerdings anspruchsvoll in der Betreuung, so daß es nicht allen Biohöfen glücke, ein hohes Tiergesundheitsniveau zu etablieren. Für das umweltbewußte Konsumenten aber tiefer ins Portemonnaie greifen müssen: „Menschen mit niedrigem Einkommen“, mithin solche, die nicht grün wählen, seien von diesem „Distinktionskonsum“ von vornherein ausgeschlossen.

Themenheft „Landwirtschaft“ aus Aus Politik und Zeitgeschichte 15-17/22: bpb.de