© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

„Hier sind wir Volkspartei“
Kommunalwahlen: An den kommenden Wochenenden küren die Sachsen ihre Bürgermeister und Landräte / Unterwegs mit AfD-Kandidaten, die sich Chancen ausrechnen
Hinrich Rohbohm

Der Spruch läßt zunächst an ein Fußballspiel denken. „Dresden gewinnt“ ist in diesem Fall jedoch nicht auf den Verein von Dynamo gemünzt, obwohl sich dessen Stadion nur einen Steinwurf vom Infostand der Dresdner AfD entfernt befindet. Es ist das Wahlkampfmotto von Maximilian Krah, unter seinem Konterfei auf dem Wahlplakat. Als „Langer Max“ hat es in Dresden bereits für Furore gesorgt. „Die Stadtverwaltung hat einfach unsere Plakate abgehängt, nur weil sie zu groß sein sollen. Das ist doch keine Demokratie mehr, das ist Diktatur 2.0“, redet sich am Stand ein Wahlhelfer der Partei in Rage, der seinen Kandidaten benachteiligt sieht.

Kandidat Krah ist derzeit AfD-Europaabgeordneter und tritt bei den anstehenden Bürgermeisterwahlen in Sachsen am 12. Juni für das Amt des Dresdner Oberbürgermeisters an. „Wir haben eine reelle Chance, es könnte nämlich im zweiten Wahlgang auf einen Dreikampf hinauslaufen“, erzählt der 45 Jahre alte Rechtsanwalt im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Der Grund für seinen Optimismus: Der von einem Mehrparteien-Block getragene Amtsinhaber Dirk Hilbert gilt als angeschlagen, nachdem lange Zeit unklar war, ob der FDP-Politiker aufgrund eines Formfehlers überhaupt zur Wahl zugelassen werden konnte. Zudem verzichtete die CDU gleich ganz auf einen eigenen Kandidaten.

Ein Bild, das Symbolcharakter bekommen könnte, hofft man bei der AfD. Denn unter Ministerpräsident Michael Kretschmer büßte die Union im Laufe der vergangenen Jahre ihren Nimbus als sächsische Staatspartei zusehends ein. Wahlkreise in diesem Bundesland galten über lange Zeit als sichere Bank für CDU-Kandidaten. Bei der Landtagswahl 2019 und der vergangenen Bundestagswahl gingen sie hingegen gleich reihenweise an die AfD verloren. Jetzt will die Partei auch die Rathäuser und Landratsämter für sich erobern.

„Hier sind wir eine Volkspartei“, sagen sie am AfD-Infostand. Wo im Westen die meisten Passanten einen Bogen machen würden, bleiben sie hier stehen, wollen mit dem Kandidaten sprechen, Fotos mit ihm machen. Krah genießt das Heimspiel, macht Selfies mit Anhängern, scherzt mit den Leuten. „In Leipzig könnte ich mich nicht so unbeschwert in der Öffentlichkeit bewegen“, sagt er. Doch warum will ausgerechnet ein Europaabgeordneter Oberbürgermeister von Dresden werden? „In diesem Amt hast du unwahrscheinlich viel Gestaltungsspielraum“, erklärt er. Chef einer Verwaltung mit Tausenden von Mitarbeitern. Oberster Repräsentant der Stadt. All das unter der Führung eines AfD-Politikers. Ein Szenario, das für die in der letzten Zeit von Wahlniederlagen gebeutelte Partei hohen Symbolwert hätte.

Mit dem Europapolitiker Krah soll ein prominentes Gesicht der Partei dazu verhelfen. Am Infostand herrscht reges Treiben. Gleich um die Ecke floriert der Wochenmarkt, zahlreiche vorwiegend ältere Besucher laufen auf dem Weg dorthin an der AfD vorbei. „Die Älteren wählen uns sehr stark“, bestätigen die Wahlhelfer am Stand. Maximilian Krah ist hier in seinem Element. Auf Menschen zugehen, Hände schütteln, gute Laune versprühen. Das liegt ihm. Und nützt seiner Partei im Kampf um die Stimmen. „Hallo. Am 12. Juni ist Wahl, wußten Sie das schon?“, geht er auf eine ältere Dame zu. „Wen Sie wählen können? Mich können Sie wählen“, ruft der Kandidat dem nächsten Interessenten zu. „Ich habe das gelernt“, verrät der Mann, der als Jungpolitiker noch für die Christdemokraten unterwegs gewesen war, ehe er 2016 mit einer bundesweit Aufsehen erregenden Austrittskampagne die Partei verließ und wenige Monate später zur AfD wechselte. 

Rückenwind in der Partei dank Wahlerfolg in Sachsen? 

Wenige Tage zuvor, auf einer Jugendpodiumsdiskussion am Bertolt-Brecht-Gymnasium, spielt Krah erneut die Trumpfkarte eines scheinbar errungenen Volkspartei-Status’ aus. „Die AfD hat in Dresden mehr Stimmen geholt als die Linken, man kann uns nicht mehr ignorieren“, betont er auf dem Podium. Daß der Erfolg der AfD Leute davon abhalte, nach Dresden zu kommen, wie von den anderen Parteien behauptet, würden „die Fakten einfach nicht hergeben.“ Und: „Ich sehe die Toleranz von links nicht gegeben.“

Stille bei den gut hundert anwesenden Schülern in der Aula des Gymnasiums. Nur ein anwesender AfD-Mann klatscht. Es ist ein anderes Milieu Dresdens. Eines, in dem Maximilian Krah ein Auswärtsspiel hat. Denn die vom politischen Jugendring, in Kooperation mit dem Jugendverein Roter Baum, dem Stadtjugendring und dem Stadtschülerrat Dresden organisierte Veranstaltung ist deutlich von links dominiert. Krah ist mit einem E-Roller zum Termin gekommen. „Das war mit einer meiner schwierigsten Auftritte hier“, räumt er ein. Die Schüler duzt er, und sie duzen ihn. Auch ein mit Frauenschuhen bekleideter junger bärtiger Mann mit langen Haaren und Queer-Pride-Aufschrift versehener Stofftasche duzt ihn. „Im Grunde sind die Leute hier ja selbst noch weitestgehend politisch orientierungslos“, sagt er, versuchend, die junge Generation durch sein Redetalent von sich zu überzeugen. „Wenn ich es schaffe, in Dresden Oberbürgermeister zu werden, dann schaffen es andere von uns auch“, prognostiziert Krah die Wahlchancen der AfD. Die ihm nachgesagte Nähe zur Kreml-Partei Einiges Rußland? Im Westen der Republik wäre sie ein Problem. Nicht so in Sachsen. 

Auch hundert Kilometer weiter östlich spielt die große Politik in die Kommunalpolitk hinein. In der Stadt Weißwasser im Landkreis Görlitz hat AfD-Landratskandidat Sebastian Wippel einen gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit seinem Bundeschef Tino Chrupalla. Neben dem Infostand ist ein großes Plakat aufgespannt. „Keine Waffenlieferungen! Für Frieden in Europa“. Nein, es ist kein Plakat der Linkspartei. Es ist eines der AfD. Ein Sieg bei den Kommunalwahlen in seiner Heimat würde Parteichef Chrupalla auch beim AfD-Bundesparteitag in einer Woche Rückenwind verschaffen.

Der Landtagsabgeordnete und ehemalige Polizeikommissar Wippel soll ihm dazu verhelfen. Der 39jährige erzielte bereits in der Vergangenheit in der Region spektakuläre Wahlerfolge. 2019 holte er bei der Görlitzer Oberbürgermeisterwahl mit 36,4 Prozent im ersten Wahlgang den höchsten Stimmenanteil. Erst im zweiten Wahlgang mußte er sich mit 44,8 Prozent dem CDU-Kandidaten (55,2 Prozent) geschlagen geben. 

60 Gäste sind auf dem Marktplatz von Weißwasser erschienen. Der Landratskandidat hält eine kurze, trockene Rede. Keine Pfiffe, keine Buhrufe, keine Gegenproteste. Parteimitglieder aus dem Westen würden neidisch von „Fronturlaub“ sprechen, wenn sie zur Wahlkampfhilfe nach Sachsen kämen, meint einer. Wippel ist ein anderer Typ Politiker als Krah. Der große Auftritt ist nicht seine Sache. Er hält einen Stichwortzettel vor sich, während er spricht. Das gewogene Publikum sieht es ihm nach. Fotos erduldet er, weil es irgendwie wohl sein muß. Seine Stärke ist nicht die politische Show, vielmehr die trocken-ruhige Art, mit der er auf die Menschen einwirkt. „Sollten wir nicht mal mit den Bürgern ins Gespräch kommen?“ fragt er leise, als der AfD-Kreisvorsitzende während seiner Rede Gefahr läuft, sich in einen Co-Vortrag zu verrennen. 

„Die Wahlveranstaltungen werden nur sehr verhalten besucht“, sagt er der JF ohne jeden Versuch von Beschönigungen. Auf die Frage, warum die Bürger ihn wählen sollten, antwortet er dafür um so selbstbewußter: „Weil ich der Beste bin.“  Eine Wahlprognose möchte er dann aber doch lieber nicht abgeben. „So etwas mache ich nicht“, kommt es aus ihm heraus. Kurz, kühl und trocken.

Fotos: Schwung holen: AfD-Oberbürgermeister-Kandidat Krah auf dem Weg zu einer Veranstaltung; Sebastian Wippel (l.) möchte Landrat in Görlitz werden, Infostand der AfD in Dresden: Keine Pfiffe, keine Buh-Rufe, keine Gegendemonstranten