© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Das Ende der großen Sparmee
„Sondervermögen Bundeswehr“: Der Bundestag hat die hundert Milliarden freigegeben / Kontrollgremium ohne AfD?
Christian Vollradt

Ob Kampfstiefel oder Gehörschutz, ob „Überschneefahrzeuge“ oder „Festrumpfschlauchboot“, ob Funkgerät oder Rechenzentrum: Vieles will das Bundesverteidigungsministerium anschaffen, und viel – zumindest im Vergleich zu frühreren Haushalten – darf es dafür ausgeben. Vergangenen Freitag machte der Bundestag den Weg frei für das sogenannte Bundeswehrsondervermögen, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Sondersitzung des Parlaments nach dem russischen Überfall auf die Ukraine so vollmundig (und für viele, vor allem in den eigenen Reihen) überraschend angekündigt hatte.

Dieses Sondervermögen wird mit sogenannten Kreditermächtigungen in Höhe von hundert Milliarden Euro ausgestattet. So sollen „im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach Nato-Kriterien bereitgestellt“ werden. Nachdem die hundert Milliarden verbraucht sind, sollen künftig ohne ausdrückliche Nennung des Zwei-Prozent-Ziels so viele finanzielle Mittel bereitgestellt werden, „um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden Nato-Fähigkeitszielen zu gewährleisten“. Das Sondervermögen wird von der in der Verfassung festgeschriebenen Schuldenbegrenzung des Bundeshaushalts ausgeklammert. Dafür wurde am Freitag auch das Grundgesetz geändert. Spätestens ab Beginn des Jahres 2031 sollen die für das „Sondervermögen Bundeswehr“ aufgenommenen Kredite „innerhalb eines angemessenen Zeitraums“ zurückgezahlt werden. 

Den größten Anteil (siehe Grafik) soll die „Dinension Luft“ bekommen. Das ist nicht deckungsgleich mit der Teilstreitkraft Luftwaffe, denn von mancher Anschaffung am Himmel profitieren beispielsweise die Marine (Seefernaufklärer) oder das Heer (Bewaffnung der Heron-Drohne oder neue schwere Transporthubschrauber). Doch unzweifelhaft sind viele Wünsche in den kleineren Teilstreitkräften deutlich teurer (Beschaffung des Kampfflugzeugs F-35 oder neuer Fregatten). 

Beschaffungsausgaben von mehr als 25 Milliarden Euro muß der Haushaltsausschuß künftig genehmigen. Außerdem ist zur Kontrolle die Schaffung eines neuen Gremiums aus Mitgliedern des Haushaltsaussschusses vorgesehen, das vom Verteidigungsministerium über alle Fragen des Sondervermögens unterrichtet werden muß. Pikantes Detail: Die Mitglieder dieses zur Geheimhaltung verpflichteten Gremiums werden nicht von den Fraktionen entsandt, sondern gewählt. „Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint.“ Dies sorgte vor allem bei der AfD für Empörung, da in vergleichbaren Fällen ihre Abgeordneten bei der Gremienwahl die notwendige Mehrheit stets verfehlten. Kritiker hegen den Verdacht, daß dadurch die AfD sowie möglicherweise auch die Linksfraktion aus dem Kontrollgremium herausgehalten werden sollen.

Uneinheitliches Votum unter den AfD-Abgeordneten

Bei der namentlichen Abstimmung zeigte sich die AfD als am wenigsten einheitlich votierende Fraktion. Die bessere Ausstattung der Bundeswehr sei in materieller Hinsicht begrüßenswert, meinte der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, Peter Boehringer, in der Debatte. Heftige Kritik äußerte er jedoch am „parlamentarischen Schweinsgalopp“. Die Streitkräfte seien schließlich nicht erst seit Februar unterfinanziert. Auch ohne Verfassungsänderung hätte man den Mehrbedarf decken können. Vor allem die Haushaltspolitiker monierten die weitreichenden Eingriffe in die Finanzhoheit des Parlaments und die mit dem Sondervermögen verbundenen Festlegungen über die Legislaturperiode hinaus. Das sei ein „Dammbruch“. 

Demgegenüber argumentierten insbesondere die Verteidigungspolitiker der AfD damit, daß man der Truppe ungeachtet aller Bedenken „jetzt schnell und unkompliziert helfen“ müsse, wie dies der hessische Abgeordnete Jan Nolte in einem Gastbeitrag für die Onlineseite der JUNGEN FREIHEIT forderte: „Wir brauchen die hundert Milliarden, damit unsere Soldaten wieder richtig ausgebildet werden können und damit man die Bundeswehr wieder ‘einsatzbereit’ nennen kann.“ Die AfD müsse den Soldaten zeigen, daß sie das erkannt habe.

Zu Beginn vergangener Woche einigte man sich zunächst auf einen Kompromiß: Die Fraktion wollte sich bei der Grundgesetzänderung enthalten (oder mit Nein stimmen) und dem Gesetzantrag für das Sondervermögen zustimmen (oder sich enthalten). Am Freitag stimmten dann aber 35 AfD-Abgeordnete gegen das „Sondervermögen Bundeswehr“, 33 dafür (bei sechs Enthaltungen). Im Gegenzug stimmten dann sechs Abgeordnete der AfD für die Grundgesetzänderung, 48 votierten mit Nein und 19 enthielten sich.

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