© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Auf ewig zersplittert
Griechenland: Die konservative Regierung schwächelt, und die Rechte formiert sich neu
Panayotis H. Doumas

Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis übernahm im Sommer 2019 die Macht, bildete eine unabhängige Regierung und versprach, all jene Mängel des griechischen Staates zu beheben, die Griechenland jahrelang in die Position des Schlußlichts der europäischen Entwicklungen gebracht haben. 

Doch angesichts der Pandemie und des Krieges in der Ukraine sowie des ständigen hybriden Krieges seitens der Türkei, der im Januar 2020 mit der Invasion illegaler Einwanderer an der Evros-Grenze einen Höhepunkt erreichte und seitdem täglich mit einer Reihe von Verletzungen des griechischen Luftraums durch türkische Kampfjets und der griechischen Hoheitsgewässer durch türkische Forschungsschiffe fortgesetzt wird, ist dies mit Schwierigkeiten behaftet. 

Außerdem sah sich die Regierung Mitsotakis im vergangenen Sommer mit einem der verheerendsten Brände konfrontiert, die Griechenland in den letzten fünfzig Jahren erlebt hat. Die Folgen waren dramatisch für die Natur, für den Tourismus, aber auch für die wirtschaftliche Situation der betroffenen Bevölkerung. Die Politik der Regierung zielte darauf ab, menschliche Opfer zu vermeiden, als Waldgebiete und Siedlungen zu retten. Die Folge: Mitsotakis’ Nea Dimokratia fiel von knapp 45 Prozent Zustimmung im Mai 2021 auf um die 30 Prozent.

Kritik an zu lascher Haltung der Regierung gegenüber Ankara

Obwohl es Kyriakos Mitsotakis gelang, die Invasion in Evros erfolgreich abzuwehren, verfolgt er eine „Beschwichtigungspolitik“ gegenüber der Türkei, wie seine parteiinternen Gegner, wie der ehemalige Ministerpräsident Antonis Samaras, es nennen. Und es ist nicht nur Samaras, der auf dem Parteitag Anfang Mai von den Zuhörern beklatscht wurde, weil er die Außenpolitik der Regierung angriff. Am 1. Juni kritisierte ein anderer ehemaliger Ministerpräsident, Kostas Karamanlis, in einem überfüllten Saal der Athener Konzerthalle sowohl die Politik der Regierung als auch die der Nato gegenüber der Türkei und Rußland.

Viele sehen den Grund für diese Politik darin, daß der Stab des Premierministers zu einem großen Teil aus Personen aus dem Umfeld des ehemaligen Premierministers Costas Simitis (Pasok) und vor allem aus der Denkfabrik ELIAMEP (Griechische Stiftung für Europäische und Außenpolitik) besteht. Dort trifft man auch Professoren, die an türkischen Universitäten lehren und die die Ansicht vertreten, daß Griechenland die Bodenschätze der Ägäis und des östlichen Mittelmeers mit der Türkei teilen sollte, obwohl das Seerecht dem Land den Löwenanteil zugesteht.

In Kombination mit der Beschwichtigungspolitik hat Kyriakos Mitsotakis in den Augen seiner parteiinternen Kritiker die liberale Agenda vollständig übernommen, indem er der LGBTI-Gemeinschaft die Hand reichte und in vielerlei Hinsicht die Politische Korrektheit übernahm, während er die Pandemie auf extrem autoritäre Weise verwaltete. Natürlich ohne große Reaktion, denn im Hinterkopf eines jeden Griechen steht immer die Frage: Was würde passieren, wenn die Regierung in den Händen der radikalen Linken und von Syriza läge? 

Es gelingt der Nea Dimokratia begrenzt, nach rechts auszustrahlen. Einerseits, weil sich bisher kein starker und glaubwürdiger rechter Pol herausgebildet hat, andererseits hält das Szenario einer Wiederwahl von Syriza viele Menschen davon ab, eine andere politische Heimat zu suchen. Im Vergleich zu den Wahlen 2019 ist die Landschaft rechts von der Neuen Demokratie noch übersichtlicher geworden. Denn ein neues Wahlgesetz des derzeitigen Innenministers Makis Voridis erschwert kleinen Parteien die Teilnahme an den Wahlen erheblich. Berücksichtigt man die Tatsache, daß der rechte Flügel traditionell von Männern dominiert wird, kann man verstehen, wie schwierig es sein wird, die für die Teilnahme an den Wahlen im Jahr 2023 erforderliche Quote von 40 Prozent weiblicher Kandidaten zu erreichen.

Nachfolger der rechtsextremen Morgenröte in den Startlöchern

Nur eine Partei scheint ein Ticket ins Parlament bis dato zu haben. Dabei handelt es sich um die Griechische Lösung (Elliniki Lysi) von Kyriakos Velopoulos, die 2019 zum ersten Mal ins griechische Parlament einzog. Der ehemalige konservative LA.O.S.-Abgeordnete hat einen eigenen regionalen Fernsehsender in Athen und zudem Verträge mit Dutzenden von griechischen Regionalsendern abgeschlossen, die seine Sendungen in ganz Griechenland ausstrahlen. In den Umfragen liegt er zumeist über fünf Prozent und damit weit entfernt von der Dreiprozenthürde. Elliniki Lysi setzt vor allem auf die Energiepolitik und das Problem der illegalen Einwanderung. Bis Februar galt er lange als potentieller Koalitionspartner der Nea Dimokratia. Doch Kyriakos Velopoulos’ Russophilie schloß diese Möglichkeit aus. 

Bereits im Herbst 2021 wurde der Abgeordnete Konstantinos Bogdanos, ein junger und umstrittener Journalist, aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen. Der Grund dafür war eine Erklärung, die er im Parlament abgegeben hatte. In seiner Rede vor einem Mitglied der Kommunistischen Partei Griechenlands erinnerte er an die Worte von Georgios Grivas, dem Führer der EOKA (Nationale Organisation der zypriotischen Kämpfer), der nationalen Befreiungsarmee Zyperns: „Wir hatten drei Feinde: die Engländer, die Türken und die Kommunisten. Die größte Gefahr waren die Kommunisten.“

Bogdanos gründete seine eigene Partei, die Nationale Vereinbarung (Ethniki Symfonia), und nahm Gespräche mit Faelos Kranidiotis und Thanos Tzimeros auf. Kranidiotis, der 2016 aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen wurde, ist Vorsitzender der Nea Dexia (Neue Rechte) und Mitglied der europäischen Identität-und-Demokratie-Partei (ID-Partei). Thanos Tzimeros ist Vorsitzender der Partei „Die neue Schöpfung“ (Dimiourgia). Er ist ein Libertärer, der sich nun der Rechten zuwandte und hauptsächlich antikommunistische und antiislamische Reden hält. Die drei gründeten am 18. Mai 2022 das Parteienbündnis Nationale Schöpfung (Ethniki Dimiourgia).

Die grundlegenden Merkmale der „Nationalen Schöpfung“, die sie von anderen rechten Projekten unterscheidet, sind ihr uneingeschränkter Euro-Atlantizismus und ihre klare und aggressive Haltung gegenüber Rußland. Sie gehören auch zu den wenigen Oppositionspolitikern, die der Lieferung von Kriegsmaterial an die Ukraine zustimmten. Auch während der Pandemie begrüßten sie die rigide Politik der Regierung Mitsotakis.

Velopoulos’ Hellenische Lösung ist nicht die einzige rechte Partei, die konträr zur Koalition der  Nationalen Schöpfung steht. Denn es gibt noch Ilias Kasidiaris. Der 41jährige, der am 22. Oktober 2020 wegen Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung und deren Leitung zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde, führt aus dem Gefängnis heraus, die Partei „Nationale Partei – Hellenen“ (Ethniko Komma Ellines), die den harten Kern der Wählerschaft der als „kriminelle Vereinigung“ bezeichneten Goldenen Morgenröte (Chrysi Avgi) zu übernehmen scheint. Sie liegt in Umfragen häufig nahe bei drei Prozent. Es gibt sogar die weit verbreitete Meinung, daß ihr Anteil viel höher sein könnte, da ihre Wähler ihre wahre Parteipräferenz in den Umfragen verbergen.

Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Marc für den TV-Sender Ant1 zufolge liegt das Parteienbündnis Nationale Schöpfung kurz nach seiner Gründung bei 1,1 Prozent Kasidiaris Nationale Hellenen bei zwei und Velopoulos’ Griechische Lösung bei 4,6 Prozent.