© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Die Linke wittert Morgenluft
Frankreich: Präsident Emmanuel Macron fürchtet um seine Herrschaft
Friedrich-Thorsten Müller

Wenige Tage vor dem ersten Wahlgang zur Parlamentswahl läuft es unrund für Frankreichs frisch wiedergewählten Präsidenten Emmanuel Macron. Eigentlich sollte die traditionelle Kabinettsumbildung nach der Wiederwahl ein Aufbruchssignal an die Wähler werden, den Präsidenten auch für seine zweite Legislaturperiode mit einer soliden Parlamentsmehrheit auszustatten. Stattdessen haben linke Parteien, die sich Monate zuvor noch auf keinen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen konnten, das Kräfteverhältnis massiv verschoben.

Denn dem bei der Präsidentschaftswahl mit 22 Prozent der Stimmen drittplazierten Linksaußen, Jean-Luc Mélenchon, ist mit der im französischen Mehrheitswahlrecht immens wichtigen Listenabsprache zwischen fast 20 linken Parteien ein politisches Kunststück gelungen. Sogar Frankreichs Sozialisten und Grüne gehören dem NUPES-Bündnis an, das sich unter seiner Führung die Rente mit 60, einen steuerfreien Mindestlohn von 1.400 Euro pro Monat und gedeckelte Preise für Grundnahrungsmittel auf die Fahnen geschrieben hat. Wie Le Point berichtete, schätzt der Ökonom Jean Pisani-Ferry die Kosten für das NUPES-Programm auf 250 Milliarden Euro pro Jahr. 

Marine Le Pen verweigerte Kooperation mit Eric Zemmour 

Geld und Verschuldungsspielräume, die Frankreich eigentlich nicht hat. Aber mancher krisengebeutelte Wähler dürfte sich davon verführen lassen. Zwar sehen Meinungsumfragen keine Mehrheit für die linken Herausforderer. Doch das Institut Ifop und andere trauen ihm inzwischen bis zu 205 Mandate zu. Gleichzeitig rutschen in einzelnen Umfragen die mit 356 von 577 Abgeordneten komfortabel regierende Präsidentenpartei REM („La République en Marche“) und ihre Verbündeten auf bis zu 275 Sitze ab, was den Verlust der Mehrheit bedeuten würde.

Folgerichtig zielen die zwischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durch Emmanuel Macron ergriffenen Maßnahmen vor allem auf linke Wählerschichten: So hat der Präsident sogleich, wie versprochen, die gerade für Geringverdiener ärgerlichen staatlichen Rundfunkgebühren abgeschafft. Des weiteren hat er mit der 61jährigen bisherigen Arbeitsministerin Élisabeth Borne als Nachfolgerin des zurückgetretenen Premierministers Jean Castex nicht zufällig eine Frau in das zweitwichtigste französische Staatsamt berufen. 

Vor allem aber in der Bildungspolitik vollzieht Macron durch die Einsetzung von Pap Ndiaye als erstem schwarzen Bildungsminister Frankreichs einen radikalen Kurswechsel. So gilt Ndiaye als „schwarzer Bürgerrechtler“ und Verfechter der „Woke-Kultur“, die sein Vorgänger Jean-Michel Blanquer, zum Unmut mancher linken Lehrer und Professoren, noch bekämpfte. Macrons Kalkül ist, durch diese Zugeständnisse Bruno Le Maire als Finanzminister und Gerald Darmanin als Innenminister wichtige Reformprojekte in den Bereichen Wirtschaft und Innere Sicherheit fortsetzen lassen zu können. 

Doch auch dieses scheinbar schlau kalkulierte Interregnum funktioniert nicht im Sinne Macrons: Elisabeth Borne wirkt als neue Premierministerin – verglichen mit dem umtriebigen Jean-Luc Mélenchon – eher blaß. 

Ein in Sachen innere Sicherheit und Organisation aus dem Ruder gelaufenes Champions-League-Finale in Paris beschädigt darüber hinaus das Ansehen von Innenminister Darmanin. Ausländische Gäste waren von Gangs überfallen und 2.700 britische Karteninhaber gar nicht erst in das Stadium gelassen worden. Und dann ist da auch noch Damien Abad, der neue Minister für Solidarität, der plötzlich unter dem Verdacht steht, vor über 10 Jahren zwei Frauen vergewaltigt zu haben.

Wie verblaßt wirken dagegen die respektablen 41,5 Prozent der Stichwahlstimmen, die Marine Le Pen noch vor wenigen Wochen für den RN (Rassemblement National) als Präsidentschaftskandidatin erzielen konnte. Zwar wird sie nicht müde, sich als einzige Alternative zu der linken und extrem linken Migrationspolitik von Macron und Mélenchon zu positionieren – und ersteren gleichzeitig als unsozial hinzustellen. 

Aber da es auf der Rechten keine Entsprechung zum Linken Bündnis NUPES gibt und Republikaner, RN und Eric Zemmours „Reconquete“ (Rückeroberung) ohne Absprachen und wahlkreisabhängigen Kandidaturverzicht ins Rennen gehen, sind deren Wahlchancen begrenzt. Immerhin sagen sämtliche Meinungsumfragen eine deutliche Zunahme der bisher nur acht RN-Abgeordneten voraus. Marine Le Pen kann demnach zukünftig mit 13 bis 80 Abgeordneten rechnen. Die Republikaner und Verbündete werden dagegen vermutlich die Hälfte ihrer heute 135 Mandate verlieren. Eric Zemmour, der mit sieben Prozent Viertplazierte der Präsidentschaftswahl, dürfte dagegen trotz flächendeckender Kandidaturen gänzlich leer ausgehen. Le Pen hatte sich Absprachen mit dem für sie lästigen Konkurrenten um rechte Wählerstimmen verweigert.

Foto: Jean-Luc Mélenchon hält eine Rede bei der Versammlung des französischen linken Wahlbündnisses NUPES (Neue ökologische und soziale Volksunion): Zusätzlich jährlich 250 Milliarden Euro wollen die Linken unters Volk streuen