© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

„Mehr Fach-kräfte durch Einwanderung“
Arbeitsmarkt: Firmen klagen über unbesetzte Stellen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik
Fabian Schmidt-Ahmad

Die Zahlen klingen gewaltig. Fast eine halbe Million Stellen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) konnten im April 2022 nicht besetzt werden. Ein neuer Rekordwert, wie das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bekanntgab. Besonders gefragt waren demnach Ingenieure, Meister, Techniker oder Facharbeiter in Energie- und Elektroberufen – etwa für Klimaschutz und Dekarbonisierung – sowie Informatiker. Hier zählte das Institut 82.500 beziehungsweise 60.600 offene Stellen, ohne daß es ausreichend Kandidaten gab.

Allerdings gab es gleichzeitig 180.000 Arbeitslose, die eine MINT-Qualifizierung nachweisen konnten. Warum diese nicht eingestellt werden, verrät der 135seitige „MINT-Frühjahrsreport 2022“ kaum: Es ist nur die Rede von „qualifikatorischen Aspekten“. Fehlende „Berufserfahrung“ ist hingegen kein Argument, wenn wirklich Fachkräfte gesucht werden. Daß eine erwerbslose Biologin „in der Regel keine offene Stelle in einem Ingenieurberuf der Maschinen- und Fahrzeugtechnik besetzen kann“, versteht sich allerdings von selbst. Daß „Informatik als Schulfach“ und „eine klischeefreie Berufs- und Studienorientierung“ die „Potentiale der Frauen für MINT-Berufe“ besser erschließen können, scheint illusorisch: Schon heute werden Mädchen nicht gezwungen, Biologin, Medizinerin oder Tierärztin zu werden.

Daher empfiehlt das IW erneut die Zuwanderung aus „demographiestarken Drittstaaten“ – und Arbeitsminister Hubertus Heil will das ermöglichen. „Wir werden Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben und arbeiten wollen, dies ermöglichen“, sagte der SPD-Politiker der Funke-Mediengruppe. „Deshalb werden wir über die Beschäftigungsduldung einen Spurwechsel ermöglichen.“ Und schon im Ampel-Koalitionsvertrag heißt es: „Die nötigen Fachkräfte wollen wir durch bessere Bildungschancen, gezielte Weiterbildung, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung sowie durch eine Modernisierung des Einwanderungsrechts gewinnen.“

Daß schon Hunderttausende Ukrainer und auch sonstige Asylbewerber aus Afrika und Asien vergeblich nach einer Wohnung suchen, stört Heil und das IW kaum – ein nochmals erleichterter Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ist nur noch eine Frage der Zeit. 13,3 Millionen erwerbslose EU-Bürger sind offenbar auch keine Alternative. Heils Parteifreund Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit, erneuerte jüngst seine Forderung von 400.000 Einwanderern jährlich zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Doch warum soll jetzt alles anders werden als 2015? Damals wurde die Asylzuwanderung aus Afrika und Nahost als „Jobwunder“ verkauft.

Bislang wurden millionenfache Sozialhilfekarrieren gezüchtet

Die Realität sieben Jahre später fällt anders aus. Drei von vier Syrern kassieren Hartz IV und Sozialhilfe (JF 23/22). Und wer ist verantwortlich für den milliardenteuren Fehlschlag? Das komplizierte und schwierige Asylverfahren, an dessen Ende erst die Arbeitsgenehmigung stehe, sei das Problem gewesen, behauptet nun das Arbeitsministerium. Ukrainer erhalten daher sofort eine Arbeitsgenehmigung – und „indem wir die Menschen ab dem 1. Juni in die Grundsicherung übernehmen, kann eine Integration dieser Menschen in den Arbeitsmarkt gelingen“, glaubt Heil. Warum ein Ukrainer einem Einheimischen gleichgestellt wird, der sein Leben lang die deutschen Sozialsysteme finanziert hat, wird gar nicht mehr gefragt. Und Heil, Scheele und das IW blenden die Frage aus, warum ein junger Mensch, hochqualifiziert und bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen, sich ausgerechnet Deutschland als Ziel auswählen sollte. Tatsächlich ist das Leben in Deutschland für echte Fachleute, die sich ihren Platz in der Welt aussuchen können, weit weniger erstrebenswert, als sich hiesige Politiker das wünschen.

Denn ein Land, das bei den Einkommensteuersätzen und den Abgaben mit an der Weltspitze liegt, kann sich zwar einen aufgeblähten Sozialstaat leisten, der allerlei Kostgänger anlockt, doch wirkliche Leistungsträger werden so nicht gewonnen. Wer freiwillig zu diesen Rekordabgaben noch Rekordwohnmieten, Rekordspritpreise und Rekordstromkosten zahlt, muß selbstquälerisch veranlagt sein. Oder eben ein treuer Deutscher sein, was wohl in vielerlei Hinsicht auf dasselbe hinausläuft.

„MINT-Frühjahrsreport 2022“ des IW:  www.iwkoeln.de