© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Schon kleine Zinserhöhungen zeigen große Wirkungen
US-Immobilienmarkt: Hypothekenraten steigen / Anhaltende Preiserhöhungen / Droht eine Subprime-Krise 2.0 oder eine neue Stagflation?
Thomas Kirchner

Die Gouverneure der US-Notenbank Fed, einst Meister im Beschwichtigen der Auswirkungen ihrer quantitativen Lockerungspolitik, überbieten sich nun mit Forderungen nach weiteren Zinserhöhungen. Doch die bisherigen Erhöhungen haben zusammen mit der Erhöhungsrhetorik bereits stärkere Auswirkungen, als die Zinssätze allein vermuten lassen. Am Jahresanfang herrschte noch Torschlußpanik im US-Immobilienmarkt. Käufer fürchteten, sofort zuschlagen zu müssen, sie glaubten, sich wegen steigender Zinsen bald keine Immobilie mehr leisten zu können. Ähnliche Bedenken, allerdings wegen rapide steigender Preise, lösten die Hausse kurz vor der Immobilienkrise von 2008 aus.

Seit ihrem Tiefststand von rund drei Prozent sind US-Hypothekenzinsen auf zuletzt bis zu 5,4 Prozent geklettert. Für den Käufer einer Durchschnittsimmobilie stieg damit die Monatsrate von 1.400 auf 1.900 Dollar – das übersteigt das Budget vieler potentieller Käufer. Jetzt setzt der Kater ein. Derzeit geht im unteren und mittleren Preissegment fast nichts mehr. Dennoch zeigen Hauspreis-Indizes noch keinen Rückgang, denn im oberen Preissegment brummt der Markt weiterhin, dort wo Käufer mehr finanziellen Spielraum haben. Dadurch steigt der Durchschnittspreis der Immobilienkäufe bei sinkendem Volumen. Auch diese Diskrepanz der Marktsegmente spielte sich vor 2008 ähnlich ab.

Ungemach droht auch bei Neubauten. Anträge auf Hypotheken sind um 14 Prozent rückläufig. Die Vergabe sank sogar noch stärker, weil viele Antragsteller abgelehnt werden. Die Kriterien sind heute weit strenger als vor 14 Jahren, so daß eine durch Schrotthypotheken ausgelöste Finanzkrise unwahrscheinlich ist. Doch wie 2008 hängt das Damoklesschwert unverkäuflicher Neubauten über dem Markt. Seit Mitte 2020 wird pro Jahr der Bau von 1,8 Millionen Einheiten begonnen, aber nur 1,3 Millionen werden fertiggestellt.

Der Motor hinter dem Konsum der letzten drei Jahrzehnte stockt

Es gibt also inzwischen eine Million halbfertiger Wohnungen, bei denen es an Baumaterialien und Handwerkern mangelt. Schlagzeilen über die rückläufige Zahl der Baugenehmigungen verdecken dieses Problem von Bauruinen im Wert von mehreren hundert Milliarden Dollar, die bei ihrer Fertigstellung die Immobilienpreise drücken werden.

Steigende Hypothekenzinsen und stabile oder sinkende Immobilienpreise werden sich negativ auf die Wirtschaft auswirken – nicht nur direkt durch die Baubranche, die ein wichtiger US-Wirtschaftsfaktor ist. Denn sinken die Zinsen, können Amerikaner ihre alte Hypothek durch eine neue mit aktuellem, niedrigeren Zinssatz ersetzen. Steigen gleichzeitig auch noch die Hauspreise, können sie einen höheren Betrag für niedrigere Ratenzahlungen leihen und die Differenz für andere Ausgaben verwenden. Dieser „Wohlstandseffekt“ war ein Motor hinter dem Konsum der letzten drei Jahrzehnte, er fällt bei steigenden Zinsen aber weg. Solche Hypothekenrefinanzierungen sanken gegenüber dem Vorjahr um 75 Prozent. Die bisher relativ moderaten Zinserhöhungen können deshalb einen überproportional großen Einfluß auf die Wirtschaftsleistung haben.

Auch bei Unternehmensanleihen kann man eine Verschlechterung des Kreditmarkts beobachten. Anleihen stemmen zwei Drittel der Firmenfinanzierungen in den USA gegenüber weniger als einem Fünftel in Europa, weshalb sie ein zuverlässiges Barometer für Kreditkonditionen sind. Anleihen guter Bonität haben in diesem Jahr im Schnitt zwölf Prozent an Wert verloren. Ändert sich dies nicht bis Jahresende, wird 2022 das dritte Jahr in den vergangenen hundert Jahren sein, in dem sowohl Aktien als auch Anleihen den Anlegern Verluste bescheren. Entsprechend gering war in diesem Jahr der Appetit der Anleger auf neu emittierte Anleihen.

Die Monate Februar bis April sahen weniger Emissionsvolumen als jedes andere Quartal der fünf Jahre zuvor. Und das, obwohl die Fundamentaldaten bisher noch gut aussehen. Der Zinsaufschlag von Unternehmens- gegenüber Staatsanleihen liegt im Rahmen der vor Corona üblichen Werte. Gewinne vor Steuern und Abschreibungen stiegen in den letzten zwölf Monaten trotz Inflation im Schnitt um 27 Prozent und untermauern die Bonität. Doch der Durchschnittswert kaschiert Probleme. Denn in der unteren Hälfte mehren sich Firmen, die gerade noch ihre Schulden bedienen können. Es bildet sich ein zweigeteilter Markt heraus: auf der einen Seite Firmen, die ihre Preise erhöhen können und denen die Inflation die Schulden entwertet. Auf der anderen Seite solche, deren steigende Kosten aus dem Ruder laufen. Die Rating­agentur S&P hat berechnet, daß Schuldner mit variabler Verzinsung und einem B-Rating (schlechte Bonität) bei einer weiteren Zinserhöhung von drei Prozent Mehraufwendungen für Schulden von 60 bis 70 Prozent haben.

Die Fed scheint bewußt das Risiko einer Rezession einzugehen in der Hoffnung, daß eine reduzierte Nachfrage die Inflation verringert. Doch Nachfrage ist nur ein Teil der Preisdrucks – Rohstoffe, Energie und Lebensmittelpreise steigen weltweit und unabhängig von den Lieferengpässen. Deshalb könnte die Fed im Alptraum einer Stagflation aufwachen: eine stagnierende Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation wie in den 1970er Jahren. Bei acht Prozent lag die Inflation das letzte Mal im Jahr 1981. Die Fed konnte sie damals eindämmen, weil sie die Zinsen so stark erhöhte, daß zehnjährige Staatsanleihen 14 Prozent Rendite erzielten. Jetzt haben zehnjährige US-Titel drei Prozent Rendite, und die Auswirkungen der Erhöhungen wirken schon jetzt bedrohlich. Die nächsten Jahre dürften ungemütlich werden.

 www.federalreserve.gov

 www.bls.gov