© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Schöner – Größer – Härter. Die Auftaktzeile des Liedes „Zick Zack“ könnte auch das Motto des gesamten Rammstein-Auftritts vergangenes Wochenende im Berliner Olympiastadion gewesen sein. Ich habe schon viele Rock- und Metalkonzerte der jeweiligen Genre-Größen, darunter Bruce Springsteen, AC/DC, Kiss, Judas Priest, Helloween, Manowar, Black Sabbath und Iron Maiden, erleben dürfen, die mir allesamt im Gedächtnis haften geblieben sind. Aber die Jungs von Rammstein haben jenseits aller hinkenden Vergleiche eben neue einfach Maßstäbe gesetzt. Zwar ist über ihre Konzerte mit deren Flammenzauber, Pyro-, Knall- und Lichteffekten schon alles hundertfach geschrieben und erzählt worden, doch kann kein Bericht auch nur annähernd das spektakuläre Live-Ereignis wiedergeben. Ebenso seit langem erledigt haben sich Diskussionen darum, wo Rammstein politisch einzuordnen ist; bis nach Hintertupfingen dürften sich inzwischen deren antifaschistische Botschaften herumgesprochen haben. Die Band reagierte auf diese Debatte aus der Mottenkiste bereits vor gut zwanzig Jahren mit dem Lied „Links 2-3-4“. Auszug: „Sie wollen mein Herz am rechten Fleck, doch/ Seh’ ich dann nach unten weg/ Da schlägt es links/ (…) Links zwo drei vier“. Und in ihrem 2019 veröffentlichten „Deutschland“-Lied heißt es: „Deutschland!/ Deine Liebe/ ist Fluch und Segen/ Deutschland!/ Meine Liebe/ kann ich dir nicht geben“. Gleichviel, ob Feuilletongequatsche auf der einen Seite und ausgeklügeltes Band-Provokationsmarketing auf der anderen, beides spielt bei einem Rammstein-Konzert ohnehin keine Rolle. Wer sich darauf einläßt, kann eine beispiellose energetische Kraftzufuhr erfahren und zugleich eine Seelenreinigung, die von allem Alltagsballast rückstandslos befreit, weit über die Konzertdauer hinaus. Darin besteht die wahre Magie dieser Band.

Die Scorpions haben eine Textzeile ihres Wendezeiten-Welthits „Wind of Change“ hyperkorrekt umgedichtet.

Die Titelaufmachung der Zeit (Ausgabe 2. Juni) lockt mit der Ankündigung eines Interviews mit der Opernsängerin Anna Netrebko. Doch im Feuilleton lese ich zunächst den Hinweis der Redaktion zur „langwierigen Autorisierung“ des Gesprächs: „Passagen, die Netrebkos Karriere mutmaßlich schaden könnten, weil sie den Star in Rußland als zu westlich und im Westen als zu russisch oder regierungsnah erscheinen ließen, wurden abgeschwächt oder gestrichen.“ Oha, entsprechend nichtssagend ist dann auch der Gehalt des Interviews. Schade.


Daß die aus Hannover stammenden Scorpions hierzulande trotz einer beeindruckenden fünfzigjährigen Karriere und gemessen an ihrem außergewöhnlichen Erfolg im Ausland von vielen bis heute als Leichtmatrosen gesehen werden, mag mit deren jüngster Volte nichts zu tun haben, doch sie wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die auch im Rockzirkus grassierende politisch-moralische Hyperkorrektheit. So dichtete die Band jetzt eine Textzeile aus ihrem Wendezeiten-Welthit „Wind of Change“ um. Statt „Follow the Moskva / Down to Gorky Park“ heißt es nun „Now listen to my heart / It says Ukrainia“. Begründung des Sängers Klaus Meine: „Es ist einfach nicht richtig, es ist nicht die Zeit, um Rußland zu romantisieren.“