© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Trans-Mode: Hinter der sozialen Ansteckung stehen Persönlichkeitsstörungen
Normale Pubertät?
Martin Voigt

Welche Ursachen hat der Transgender-Hype unter jungen Mädchen? Tausende Mädchen outen sich allein in Deutschland ohne vorherige transsexuelle Entwicklung plötzlich im Teenageralter als trans und wollen eine Geschlechtsumwandlung. Transaktivisten wie der Queer-Beauftragte Sven Lehmann (Grüne) sehen darin den Effekt einer offener gewordenen Gesellschaft, die es den Mädchen erlaube, zu ihrer gewählten Identität zu stehen.

Ärzte hinterfragen die ideologische Sichtweise. Der Jugendpsychiater Alexander Korte stellt in der taz klar (2. Mai 2022), die sonst als queere Echokammer gilt: „Es ist hip, trans zu sein.“ Korte kritisiert die Grünen, die den Geschlechtswechsel bereits 14jährigen ermöglichen wollen, und bezeichnet die „exponentielle Zunahme“ an Trans-Selbstdiagnosen in der „vulnerablen Gruppe von weiblichen Jugendlichen“ – 85 Prozent seien biologische Mädchen – als „Zeitgeistphänomen“.

Die Feministin Alice Schwarzer sieht in der „Trans-Mode“ eine Flucht ins Mannsein. Die Mädchen suchten eine Lösung gegen die „Zumutung des Frauseins in einer patriarchalen Welt“. Korte ergänzt: Sie haderten mit den rigiden Schönheitsidealen und „zerschellen an den Herausforderungen in der Pubertät“.

Obwohl das „Massenphänomen“ (Schwarzer) für Schlagzeilen sorgt, verharrt dessen Erkundung im Narrativ vom Rollenzwang und der weiblichen Pubertät: Die schmerzhafte Periode, die körperliche Veränderung und das enge Rollenmodell des beliebten und hübschen Mädchens forderten eine problematische Integrationsleistung. Die Kurzschlußreaktion: Ich will kein Mädchen mehr sein. Und nicht: Ich war schon immer ein Junge.

Transsein erscheint als Lösung für „die ganze Scheiße“ im Leben und verspricht soziale Anerkennung. Während Superstars wie Ellen Page, die jetzt Elliot heißt, sich mit ihrem Bekenntnis, das jedes Homo-Outing alt aussehen läßt, an die Spitze der Avantgarde katapultieren, steigen die Transmädchen zur Queen of Queerneß in ihrer Klasse auf. Lehrer berichten von sozialer Ansteckung unter Mädchen, wie beim Ritzen oder der Magersucht. Zwischen seelischem Leidensdruck, Solidarität mit der Freundin und jugendkultureller Adaption sind fließende Übergänge, so auch bei der Trans-Mode. Transaktivisten haben leichtes Spiel, neue „Familienmitglieder“ zu gewinnen; das Internet ist voll von euphorischen OP-Berichten und der Verharmlosung von Testosteron.

Trifft die Trans-Mode auf verunsicherte Mädchen in ihrer Identitätsfindungsphase? Zählt der Wunsch, sich die Brüste entfernen zu lassen, zur normalen Pubertät? Es gibt eine tiefere Ebene: Die bisher erwähnten Faktoren sind als soziale Auslöser zu verstehen, die bei den Mädchen auf eine psychische Disposition treffen.

Stichworte wie sexueller Mißbrauch oder uneingestandene Homosexualität deuten zwar auf die psychologische Ebene, erklären aber nicht das Massenphänomen. Wo ist der gemeinsame Nenner für die Scharen an Mädchen, die die Kliniken stürmen, weil sie ihren Körper und im Grunde sich selbst zutiefst ablehnen?

Diese Art der Geschlechtsdysphorie sei eine „moderne Störung“, die teils an die Stelle der Anorexie trete, beobachtet Korte. Sie gehört also in die Kategorie der Persönlichkeitsstörungen: Die emotional instabilen Patientinnen sind kaum in der Lage, klare Präferenzen und gefestigte Selbstbilder zu entwickeln, leiden an Depressionen und Angststörungen und zeigen selbstverletzendes und süchtiges Verhalten. Man denkt an schwer vernachlässigte oder mißhandelte Kinder, und vorgelagert sind auch fast immer familiendynamische Ursachen. Weitaus häufiger als das erkennbar Desolate ist jedoch das subtile Trauma der emotionalen Zurückweisung – die Unfähigkeit, aus welchen Gründen auch immer, dem (früh-)kindlichen Liebes- und Nähebedürfnis gerecht zu werden. Doch anstatt die Familien genauer in den Blick zu nehmen, subsumiert man lieber unter „typisch Pubertät“ und verweist auf den Werther-Effekt als Beleg für soziale Ansteckung, die es in Jugendkulturen immer schon gegeben habe. Die Verbreitung von Trends, vor allem jener aus dem suizidalen Spektrum wie Drogen, Magersucht, Ritzen oder Trans, benötigt jedoch einen seelischen Nährboden.

Die Suizidwelle in Folge von Goethes „Werther“ betraf gebildete Adelssprößlinge. In Adelsfamilien galt es als unschicklich, Kinder selbst zu stillen und zu erziehen. Nach der Geburt übergab man den Säugling einer Amme. Zu ihr entwickelte er nach dem Bruch der pränatalen Mutter-Kind-Bindung seine Primärbindung. Doch die Amme war nicht konstant da und verließ das Kind auch wieder. Bindungstraumata prägten adlige Kindheiten und ganze Epochen, etwa die Todessehnsucht der Romantiker oder die überbordenden Gefühle im Sturm und Drang: Auch Goethes „Werther“ war lediglich Auslöser, der auf eine verbreitete psychopathologische Disposition traf.

Der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz (Halle/Saale) spricht mit Blick auf neurotische Massenphänomene von gestörten Bindungen und „frühkindlichem Liebesmangel“. Ähnlich umschreiben es auch Mädchen, die ihre Transition bereuen, in den sozialen Medien:

„Die Lüge war, zu glauben, daß ich meine alte Haut abstreife und darunter etwas anderes, etwas Wunderschönes zum Vorschein kommt“, schreibt „shesindetransition“. „Wir alle versuchen am Ende nur, uns selbst irgendwie zu ertragen. Unsere Verletzlichkeit, unsere Bedürftigkeit, unsere Hilflosigkeit, unsere Wut, unsere Scham. Das ungeliebte Kind und den tiefen Riß in unserem Selbst, wir alle tragen etwas dieser Art in uns.“

Hier artikuliert sich die Einsicht, das „ungeliebte Kind“ in der Seele nicht einfach wegoperieren zu können. Immer wieder erwähnen die Mädchen Gefühle der inneren Leere und Selbstentwertung, die darauf hindeuten, daß die wirkmächtigen Traumata im frühen familiären Kontext liegen und nachgelagerte Identitätskonflikte während der Pubertät als Auslöser und soziale Überformung zu werten sind. Hinter der Ablehnung von Weiblichkeit bei einer Anorexie oder Geschlechtsdysphorie stehen meist Kindheitstraumata, deren Pathogenese durch Adoleszenzkrisen begünstigt wird. Umgekehrt ließe sich sagen: Ist der Teenager sicher gebunden, das „innere Kind“ bedingungslos geliebt, dann werden die Herausforderungen während der Pubertät, der Abgleich mit Rollenerwartungen und Schönheitsidealen nicht zu einem so durchschlagenden Trauma.

Die Bandbreite familiärer Dynamik reicht von nicht vorhandenen Eltern – überdurchschnittlich viele seien Heimkinder, berichtet die Times über Trans-Patientinnen einer Londoner Gender-Klinik – bis hin zu Eltern, die vom Outing ihrer Tochter völlig überrascht und in familiendynamischer Hinsicht auffällig unauffällig sind.

Desolate Verhältnisse und frühe Fremdbetreuung sind zwar die Indikatoren schlechthin für die emotional instabile Persönlichkeitsstörung, doch, um dem Einwand vorzugreifen, nicht hinter jeder Neurose steht eine Scheidungsfamilie oder Krippenkindheit. Dies sei monokausal, lautet der Vorwurf, wenn die Analyse zwangsläufig sozialkritisch wird. Daher sei betont: Die meisten Eltern lieben ihre Kinder, bemühen sich um ein intaktes Zuhause, eine feinfühlige, bedürfnisorientierte Erziehung und um emotionale Anwesenheit in der Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen. Es erstaunt also nicht, daß sich viele Eltern die Identitätskrisen ihrer Töchter nicht erklären können.

Therapeuten, die den Familienhintergrund erfragen, berichten von psychischen Erkrankungen der Eltern, die die Entwicklung der Kinder prägen, ohne das Bild der normalen Familie zu tangieren. Der Sexualtherapeut Markus Hoffmann (Tamm) skizziert der JUNGEN FREIHEIT zwei Fälle: den einer „depressiv abwesenden Mutter“ und den einer Familie, die durch „das histrionische und unreif-bedürftige Verhalten der Eltern“ belastet war. Die Tochter habe eine Erwachsenenrolle einnehmen und mit eigenen Leidensgeschichten um Aufmerksamkeit buhlen müssen. Ihr Gefühl, daß etwas nicht stimme, fand seine Auflösung in der Erkenntnis, trans zu sein. Nun stand sie im Mittelpunkt der Familie.

Korte schildert den Einfluß einer sexuell traumatisierten Mutter auf ihre Tochter, eine in der Medizin bekannte Kausalität: „Bei Müttern, die selbst sexuell traumatisiert sind, ist die Wahrscheinlichkeit, daß deren Kind eine Geschlechtsdysphorie entwickelt, deutlich höher.“

Auch die Bindungsforschung blickt jenseits familiendynamischer Offensichtlichkeiten differenziert ins Vater-Mutter-Kind-Gefüge und auf die Liebesfähigkeit der Eltern. Kinder haben ein seismographisches Gespür für die Tektonik der Liebesbeziehung ihrer Eltern, denn sie ist ihr Schutz- und Entfaltungsraum. Die Liebe zwischen Vater und Mutter bedingt Selbstwert und Identität der Kinder.

Die sozialpsychologische Spurensuche im Setting der vermeintlich intakten Familien referiert nun nicht nur auf einzelne Fälle, sondern besser auf relevante Muster. Das deutlichste ist die emotionale Kluft zwischen den Eltern und Töchtern. Sätze aus Interviews mit betroffenen Eltern wie „Sie hat uns einen Brief hingelegt/per WhatsApp mitgeteilt“ zeugen von einer Distanz, die wiederholt durchscheint. Die Eltern wirken wie Randfiguren ohne Zugang zu ihren ganztags beschulten Töchtern, die selbst elementare Entscheidungen eher mit den Peers als zu Hause besprechen. Tief getroffen vom Comingout ihrer Kinder machen sie „das Internet“ als Schuldigen aus. Dort würden die psychisch verunsicherten Mädchen indoktriniert und für ihr Trans-Sein von einer „riesengroßen Familie geliebt und gefeiert“.

Jugendliche suchen eigene Wege und Anerkennung auch außerhalb ihres Zuhauses, aber zwischen einer provokanten Frisur und Hormonen kann auch ein pubertierender Teenager unterscheiden. Wie manipulierbar sind die Trans-Mädchen? Wie nötig haben sie die Ersatzliebe aus dem Internet? Nicht alles ist mit Indoktrination und Abnabelung zu erklären. Bei einer Bindungsstörung fehlt Eltern das Gefühl dafür, was gesunde Schritte in ein eigenständiges Leben auf der Basis einer sicheren Bindung sind.

Ein weiteres Muster ist das emotionale Laissez-faire vieler Eltern. Sie bestätigen ihre Töchter auf dem Weg durch die Transition und sagen wie Freunde zu allem „Ja, wenn es gut für dich ist“, und das nicht erst seit gestern. Die Eltern meinten es stets gut, aber die Tochter griff emotional ins Leere und eskaliert irgendwann autoaggressiv, neuerdings dank Vorlage aus dem Internet in maximaler Entgrenzung, dem Sprengen der Geschlechtergrenzen. Wieder nur ein Achselzucken: „Wenn dich das glücklich macht, dann geh ich jetzt mit dir diesen Weg.“ Grenzenloses Verständnis statt Liebe, die Grenzen setzt. Der suizidale Hilferuf verhallt. Es bleiben Enttäuschung und eine Selbstverachtung, die eigentlich die Eltern meint: Was hätte ich tun müssen, um einmal das Gefühl zu haben, eure über alles geliebte Tochter zu sein? Ich will nicht mehr (euer) Mädchen sein.

Die Trans-Mode ist eine kulturelle Überformung ähnlich gelagerter Persönlichkeitsstörungen. Identität sei „das Resultat einer individuellen Bindungs-, Beziehungs- und Körpergeschichte“, meint Korte, der als Psychiater jeden Fall neu beurteilt. Die sozialpsychologische Vogelperspektive erkennt die Muster jedoch in den Bindungsgeschichten der Familien, in den zerrütteten wie in den unauffälligen.






Dr. Martin Voigt, Jahrgang 1984, ist Jugendforscher und Publizist. Er studierte in München Germanistik und Soziologie. Für die Bundespolizei initiierte er ein Präventionsprojekt, das auf seiner Forschung zur Identitätsentwicklung in den sozialen Medien basiert. Als Buch ist 2015 erschienen: „Mädchen im Netz. Süß, sexy, immer online“.

Foto: Mädchen in der Pubertät: Häufiger als das erkennbar Desolate in den Familien ist das subtile Trauma der emotionalen Zurückweisung