© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Sozialismus mit Bacardi-Feeling
Zucker, Südfrüchte und Nickel zu Vorzugspreisen: Vor 50 Jahren läßt sich Fidel Castro in der DDR feiern und schenkt ihr eine Insel
Paul Leonhard

Nicht nur Sowjetchef Nikita Chruschtschow hat per Federstrich eine Insel verschenkt, auch Fidel Castro. Der kubanische Diktator fühlte sich berufen, den Genossen in der DDR mit ein wenig karibischer Sonne den grauen sozialistischen Alltag zu verschönern. Ein südlich der Halbinsel Zapata gelegenes Inselchen – 15 Kilometer lang und 500 Meter breit – taufte er auf den Namen des von den Nationalsozialisten ermordeten Hamburger Kommunisten-Führers Ernst Thälmann und übereignete es per Präsidentenerlaß dem Arbeiter- und Bauernstaat. So zumindest erst die Lesart der Einheitspartei und später der Bild-Zeitung, die während der Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung die Geschichte um das Eiland aus der Vergessenheit zauberte und Deutschlands neuen überseeischen Besitz als 17. Bundesland bejubelte.

Als Castro Anfang der 1970er Jahre die sozialistischen Länder Afrikas und Europas besucht, hat sich die DDR gerade stabilisiert. Stacheldraht und Minenfelder sichern, daß ihr das Volk nicht mehr abhanden kommt. Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion und deutscher Fleiß sorgen für einen Aufschwung. Diesen will sich der kubanische Führer ansehen, als er vom 3. Mai bis 5. Juli 1972 zur längsten Auslandsreise seines Lebens aufbricht. Sie führt über Guinea, Sierra Leone, Algerien nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Polen, in die DDR, die Tschechoslowakei und endet in der Sowjetunion. 

Geschenkte Karibikinsel wurde später zur „symbolischen Geste“

In dem noch 1972 vom „Instituto Cubano del libro“ in Havanna herausgegebene Bildband „El futuro es el internacionalismo“ ist diese Reise nicht nur detailliert beschrieben, sondern die Fotos zeigen auch einen in seiner Gaderobe äußerst wandelfreudigen „Maximo lider“, der neben seiner olivgrünen Felduniform je nach Anlaß auch eine Uniform der bulgarischen Armee, einen bürgerlichen Anzug, Sportsachen oder beim Besuch in Oberschlesien das Festkleid der Bergleute trägt.

In der DDR, in der Castro vom 13. bis 19. Juni weilt, heftet ihm Walter Ulbricht, im Jahr zuvor als Staatsratsvorsitzender geschaßt und jetzt nur noch einflußloser „Vorsitzender des Staatsrates“, den „Großen Stern der Völkerfreundschaft“ an die Uniformbluse, bleibt aber auf Distanz. Der Spitzbart hat Castro nicht verziehen, daß dieser seine Einladung zum Staatsbesuch 1963 – kurz vor dem Besuch von US-Präsident John F. Kennedy in West-Berlin – „aus Termingründen“ abgelehnt hatte.

1972 braucht der kubanische Diktator jedoch wirtschaftliche und militärische Hilfe. So interessiert er sich vor allem für Erdölraffinerien in Rumänien, Chemiekombinate wie Leuna, wobei ihm hier insbesondere die betriebseigenen Kampfgruppen imponieren. Die DDR verspricht die Lieferung von kompletten Fabriken – tatsächlich errichtet sie auf Kuba die größte Zementfabrik Lateinamerikas, Kraftwerke und Brauereien und übernimmt die Ausbildung von 30.000 Kubanern. Im Gegenzug gibt es Zucker, Südfrüchte und Nickel zu Vorzugspreisen.Wo Castro in jenen Tagen erscheint, ruht der Aufbau des Sozialismus. Die Werktätigen müssen Fidels berüchtigten mehrstündigen Reden lauschen, Fähnchen schwenken und jubeln. 120.000 sind es nach Berichten der DDR-Medien auf dem Theaterplatz in Dresden, wo Castro zwischen der Ruine der Semperoper und den Trümmern des Residenzschlosses steht. „Der Platz brodelt vor Geschäftigkeit und Begeisterung“, heißt es im kubanischen Protokoll. Deutsche Zeitzeugen erinnern sich vor allem an die nicht enden wollende Rede des Kubaners.

Und die Insel, jene „spirituelle Geheimwaffe“ (Castro) für die DDR? Von einem Geschenk war nach deren Untergang keine Rede mehr. Tatsächlich tragen zwar sowohl die seinerzeit gefaßte „gemeinsame Erklärung“ als auch eine Landkarte die Unterschriften Honeckers und Castros, aber in den Augen des „Maximo lider“ war das lediglich eine symbolische Geste, „um der DDR Tribut zu zollen“. Die letzte Erinnerung an das „Symbol brüderlicher Verbundenheit“ beseitigte 1998 der Hurrikan „Mitch“. Er kippte die Thälmann-Büste von ihrem Sockel ins Meer.