© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Hausaufgaben nicht gemacht
Das schulpolitische Versagen des Staates in Corona-Zeiten
Matthias Bäkermann

Wären da nicht noch letzte Relikte der Corona-Maßnahmen wie die Maskenpflicht in Arztpraxen oder dem ÖPNV, erschienen die massiven Einschränkungen während der Pandemie fast schon entrückt. Dabei stellten besonders für Kinder und Jugendliche die Corona-Jahre 2020 und 2021 eine extreme Belastung dar. 

Für Dario Schramm, bis Herbst vergangenen Jahres Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, offenbarte die Pandemie zudem im Sektor Schule und Bildung katastrophale Zustände. „Vieles ist durch Corona sichtbar geworden – existiert hat es bereits vorher“, ist sich Schramm sicher. Als Abiturient hat er am eigenen Leibe die Widrigkeiten von Wechselunterricht, Homeschooling und schleppender Digitalisierung erlebt. Kritik gilt dabei besonders der von allen Politikern seit Jahren blumenreich beschworenen Digitalisierung: „Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich es nicht glauben: Die Wirtschaftsnation Deutschland hat über Jahrzehnte die Infrastruktur ihrer Schulen nicht nur vernachlässigt, sondern so weit heruntergewirtschaftet, daß es ihr bei der Digitalisierung nun doppelt und dreifach auf die Füße fällt.“ Anekdotenreich schildert der Bergisch-Gladbacher den oft zum didaktischen Desaster geratenen Online-Unterricht mit technisch überforderten Lehrern und wackeligem WLAN. So hört sich sein Vorwurf an politisch Verantwortliche durchaus plausibel an, wenn er die ketzerische Frage aufwirft, warum DAX-Konzerne wie die Lufthansa mit einem Milliarden-Paket gerettet werden, während es überall in dieser Republik – nicht nur an Schulen – immer noch an schnellem Internet hapert.

Natürlich spart Schramm auch nicht die von seiner Generation besonders wahrgenommene verminderte Lebensqualität aus. Die erzwungene soziale Isolation, fehlende Sport- und Freizeitaktivitäten führten bei vielen Jugendlichen zu psychosomatischen Belastungen. So litten doppelt so viele Kinder wie vor der Pandemie unter ständigen Kopf- und Bauchschmerzen und Niedergeschlagenheit. Das junge SPD-Mitglied Schramm betont explizit, daß davon sozial Benachteiligte besonders stark betroffen waren oder Programme wie die Inklusion in verantwortungslosem Maße strapaziert wurden. Das ist alles nicht von der Hand zu weisen, allerdings dürfte das nicht in alleiniger Verantwortung des staatlichen Schulsystems liegen. Vielleicht wäre es aber auch von dem 21jährigen zuviel verlangt, in seiner kleinen Corona-Streitschrift die ideologisch-politischen Weichenstellung der Vergangenheit in Bildungs- und Familienpolitik anzuklagen, die eine Gesellschaft in ein sozialdemokratisches Nanny-Staat-Idyll überführen wollte und weiterhin will, den dieser aber gar nicht auszufüllen in der Lage ist. 

Dario Schramm: Die Vernachlässigten. Generation Corona. Wie uns Schule und Politik im Stich lassen. Droemer Verlag, München 2022, gebunden, 137 Seiten, 14 Euro