© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Frisch gepreßt

Königsberger Magus. Johann Georg Hamann (1730–1788), so charakterisiert Till Kinzel den Königsberger Antipoden Kants in seiner „intellektuellen Biographie“, wurzele in „uns fremd gewordenen abendländischen Denk- und Schreibtraditionen“. Was diesen enzyklopädischen Geist und „Prototyp des Undurchschaubaren“ schon zu Lebzeiten gegen rasche Entzifferung absperrte. Kein Wunder, daß sich in der langen, elitär-esoterischen Reihe der Magus-Bewunderer, die von Goethe und Hegel zu Nicolás Gómez Dávila und Botho Strauß führt, auch ihm so wesensverwandte, die „Selbstverrätselung mittels literarischer und politisch-theologischer Anspielungen“ (Kinzel) liebende Naturen wie Carl Schmitt, Walter Benjamin und der Kabbala-Exeget  Gershom Scholem finden. Welche Anforderungen Hamann stellt, zeigt bereits, daß der eschatologisch orientierte sprachphilosophische, gewaltige Wirkung auf den Sturm und Drang und die Romantik ausübende Essay „Aesthetica in nuce“ (1762) im Neudruck 25, dessen tiefbohrende Kommentierung durch die Hamann-Expertin Eva Kocziszky aber 85 Seiten umfaßt. Obwohl sie damit eigentlich die Maxime des Gegen-Aufklärers unterläuft, „Sichselbstverständlichmachen sei der Selbstmord der Philosophie“, erreicht die Budapester Gelehrte damit ihr für die Weiterwirkung des tiefsinnigen Modernekritikers nicht unwichtige Ziel, einen selbst für gebildete Leser schwierigen Text zugänglich zu machen. (wm)   

Eva Kocziszky, Hrsg.: Johann Georg Hamann. Aesthetica in nuce. Eine Rhapsodie in kabbalistischer Prosa. Karolinger Verlag, Wien 2021, gebunden, 139 Seiten, 22 Euro





Virus-Ursprung. Es ist immer wieder erbaulich, wenn neue Gesichter in eine Debatte eingreifen – so wie jetzt Günter Theißen. Der 1962 in Mönchengladbach geborene Biologe verhielt sich bisher politisch unauffällig und hat nun als Jenaer Professor für Genetik seine „Verärgerung“ über die arge Schieflage in der Debatte um den Corona-Ursprung in Buchform gebracht. „Und ich war entsetzt,“ schreibt der Lehrstuhlinhaber der Friedrich-Schiller-Universität. „Bezüglich der kritischen Fragen nach der Herkunft des Virus gab es nur mehr oder weniger plausible Einschätzungen, die als gesichertes Wissen ausgegeben wurden.“ Der kriminologische Ansatz des Werkes wird bereits vom Autor im ersten Kapitel thematisiert: „Ich fragte mich, was der Grund dafür sein könnte, daß renommierte Wissenschaftler sich nicht an wissenschaftliche Spielregeln halten – und stellte schwere potentielle Interessenkonflikte fest.“ Sein Buch nimmt den Leser in 13 Kapiteln mit auf eine Reise durch die naturgemäß unsicheren Wägbarkeiten der Wissenschaft hin zu einem ein wenig gesicherteren Ausgangspunkt. (mp)

Günter Theißen: Das Virus: Auf der Suche nach dem Ursprung von Covid-19. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2022, broschiert, 192 Seiten, 20 Euro