© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/22 / 10. Juni 2022

Einfach Spaß am Gesang
Männerchöre – oft totgesagt, doch immer wieder auferstanden
Boris T. Kaiser

Welch Abgesang? „Trotz jahrhundertealter Tradition: Die Männerchöre in Deutschland sterben aus. Zum Jahresende hört nun einer der bekanntesten Chöre Süddeutschlands auf, der Männerchor Aichschieß. Damit endet auch eine klangvolle Geschichte über das süddeutsche Chorwesen“, titelte der Deutschlandfunk Ende 2014.

Um den 1862 gegründeten Thüngersheimer Männerchor steht es heute nicht besser. „Bei uns im Chor stimmt alles: hochqualifizierte Chorleiter, zielorientierte Probenarbeit, herausragende Erfolge, erstklassige Chorgemeinschaft“, schreibt Chormitglied Thomas Kraft und gesteht: „Nur, es fehlt uns der Nachwuchs.“ Es lägen „zwei schwierige Sängerjahre hinter uns“. „Wir alle hatten und haben, so wie auch in anderen Vereinen mit Lockdowns, Versammlungsverboten, Abstandsregelungen, Hygienevorschriften und letztendlich auch mit Infektionen mit dem Coronavirus zu kämpfen. Trotzdem haben wir alles mögliche unternommen, um das Vereinsleben nicht ganz einschlafen zu lassen“, schreibt der Vorsitzende des Männerchors 1874 Balve, Bernhard Krüdewagen, an seine Sangesbrüder. 

Bei der Hauptversammlung des Chores im Restaurant „Zur Höhle“ ging es Anfang Mai laut einem Bericht der Westfalenpost auch ums Thema Nachwuchs. Derzeit zeigten mehrere Personen Interesse für das Singen im Chor, erklärte Ralf Schneider. Problematisch sei aber immer die Probenzeit gewesen. Eine Anpassung auf 19 Uhr wäre, auch mit Blick auf die Zukunft des Chores, ein Punkt, über den man diskutieren müsse. „Bezüglich des Sängernachwuchses müssen wir uns künftig noch mehr bemühen“, ergänzte Krüdewagen. „Hier sollten wir wieder offene Proben einplanen, bei denen jeder Sänger angehalten ist, möglichst einen Interessenten mitzubringen. So wie wir es früher schon öfter durchgeführt hatten. Dann bitten wir um weitere Vorschläge, wie wir an Männer, vor allem im Alter von 30 und 50 Jahren herankommen. Männer, die zum Beispiel ein Haus gebaut haben, Kinder im Schulalter haben und ein Hobby suchen, bei dem die ganze Familie ihren Platz hat. Singen am Montagabend beim Männerchor Balve wäre da eine schöne Abwechslung zum stressigen Alltag“, zeigte sich der Vorsitzende optimistisch. 

Optimismus versprüht auch der 2019 gegründete Neue Männerchor Berlin. Ziel und Idee dahinter ist, „auf hohem musikalischen Niveau alte Männerchortraditionen aufzugreifen und ihnen moderne Züge zu verleihen“. Auf diese Balance, aus kulturellem Vermächtnis und dessen progressiver Fortführung, legt nicht zuletzt auch Chorleiter Adrian Emans großen Wert. Von 2017 bis 2019 arbeitete der 1988 geborene Dirigent als Assistent beim Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden.Zudem unterstützt er seit 2018 in unregelmäßigen Abständen die Arbeit des Jugendchores der Staatsoper Unter den Linden. 

Auch sein Männerchor kommt, bei aller Liebe zum Althergebrachten, vor allem jung, frisch und dynamisch daher. Zwar scherzt der künstlerische Leiter des Chors gerne darüber, wie „toll“ er das Konzept betagterer Herren, „die mit Schnäuzer, Schnaps und Pickelhaube ihr erlegtes Wild besingen“, findet, mit der Realität seiner Arbeit habe das aber wenig zu tun.

Schweriner Chor ffortissibros gewinnt Cornwall-Festival

Personell setzt sich der semi-professionelle Neue Männerchor Berlin vor allem aus Gesangsstudenten und ehemaligen Musikstudenten zusammen. Alles in allem wirkt das Auftreten der jungen Herren mit der besonderen Liebe zum traditionellen Gesang ziemlich poppig. Mit ein bißchen Phantasie könnte man in ihnen eine 2.0-Version der legendären Berliner Comedian Harmonists sehen. Wobei das neue Vokalensemble seinen Schwerpunkt sicherlich etwas stärker auf die ernsten Harmonien legt.

Für Schlagzeilen sorgte nun der Männerchor ffortissibros aus Schwerin, der vo einem Monat   zum Sieger des Cornwall International Male Choral Festival in England gekürt wurde. „Da singen Musikstudenten, angehende BWLer, Architekten, Philosophen – und das so unmuffig, daß sie Vorreiter einer Männerchor-Renaissance werden könnten, titelte Deutschlandfunk Kultur. Auch die Cornwall News fanden nur lobende Worte: „Ein Chor junger Deutscher, die sich zum ersten Mal in der Schule kennengelernt haben und noch nie zuvor international an Wettbewerben teilgenommen haben, hat das Cornwall International Male Choral Festival im Sturm erobert.“ „Authentizität ist uns wichtig“, stellen sich die Sänger vor. „Wir haben Freude am Musizieren und wollen das auch auf der Bühne zeigen, Spaß darf bei uns nicht auf der Strecke bleiben. Das macht uns eben aus. So wie unsere Proben sind: locker, witzig, natürlich auch effektiv und nachhaltig, so und in dieser Gelassenheit und Lockerheit wollen wir uns auch präsentieren.“

Auch der Männerchor Plaidt aus der Eifel frönt sein Dasein gemäß dem Motto: „‘Reine Männersach’ – der alten Tradition, daß nur Männer aktive Sänger sein dürfen, aber im allgemeinen sind wir sehr offen, modern und freuen uns über jeden, der Lust hat, in der Gemeinschaft zu singen.“ Die Herren sind guter Dinge, denn sie freuen sich auf ihrer Facebook-Seite über ein „Neues Naturtalent“ – Michael Wolff aus Saffig stärke ab sofort den ersten Baß, heißt es da.

Foto: Männergesangsverein im Jahr 1922: Ulk gehört auch einmal dazu, wenn sich die Herren der Schöpfung zum Singen treffen