© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ausschüsse sind geduldig
Paul Rosen

Die neue Legislaturperiode ist gerade einmal ein halbes Jahr alt, da wird schon der erste Untersuchungsausschuß eingesetzt. Eine supergroße Koalition von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP will die Ereignisse beim Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan Mitte 2021 untersuchen lassen. Die Bilder vom Kabuler Flughafen lösten weltweites Entsetzen aus. Verzweifelte Menschen, die dem Terror der Taliban entgehen wollten, klammerten sich an Flugzeuge und stürzten in den Tod. Außerdem wird ein Schwerpunkt der Untersuchung die Lage der afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr sein, von denen längst nicht alle das Land verlassen konnten. 

Untersuchungsausschüsse gelten als das schärfste Schwert der Opposition gegen die Regierung. In diesem Fall ist es anders. SPD, Grüne und FDP hatten die Bildung des Kabul-Ausschusses bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, und die Union ist der Vereinbarung beigetreten. Das alles spricht bereits für die Annahme, daß von diesem Ausschuß nicht allzu tief gegraben werden soll. Dazu paßt, daß mit dem früheren SPD-Vize Ralf Stegner ein Politiker mit dem Vorsitz betraut werden soll, der keinerlei Kenntnisse von Militär oder Außenpolitik hat, sich dafür aber in Gremienarbeit bestens auskennt. Die SPD war mit dem Vorsitz an der Reihe. 

In der vorigen Legislaturperiode gab es insgesamt vier Untersuchungsausschüsse des Bundestages, die hochinteressante Ergebnisse lieferten. Das gilt beispielsweise für den zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016, durch dessen Arbeit viel Licht in die Hintergründe des Anschlags gebracht wurde. Ein Untersuchungsausschuß zur Pkw-Maut des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) deckte zwar auch vieles auf, Scheuer blieb aber im Amt. Der Untersuchungsausschuß zum Fall Wirecard zog immerhin den Rücktritt des Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld, nach sich. Und bei der sogenannten Berateraffäre im Verteidigungsministerium deckte man Geldverschwendung und Inkompetenz ohne Ende auf. Für die verantwortliche Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte dies keine Folgen. Sie stieg zur Präsidentin der EU-Kommission auf.

Mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan insgesamt soll sich dann eine Enquete-Kommission beschäftigen. Es soll darum gehen, „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ zu ziehen. Enquete-Kommissionen des Bundestages haben die Eigenschaft, daß ihre Einsetzung ein großes Echo findet, man danach aber nie wieder was davon hört. Das gilt für die entsprechenden Gremien zu „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, zu „künstlicher Intelligenz“ oder „beruflicher Bildung in der digitalen Arbeitswelt“. Auch im aktuellen Fall fällt auf, daß mit Berlins ehemaligem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein Politiker zum Vorsitzenden bestimmt werden soll, für den Bundeswehr und Auslandseinsätze bisher kein Thema waren.