© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Das Licht unter dem Scheffel
Geopolitik: Trotz des Ukraine-Kriegs geht die wirtschaftliche Expansion Chinas ungehindert weiter
Mathias Hofer

Die Ukraine ist ein wirtschaftlich schwaches Land. Schon vor dem Krieg war sie das ärmste Land Europas und beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sogar hinter Albanien, Georgien und Armenien zurückgefallen. Der Handel mit Rußland war aufgrund der politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern in den letzten Jahren stark rückläufig. Kiew hatte zwar ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen, doch das konnte die hohen Rückgänge im Handel mit Rußland nicht voll kompensieren.

Zwar hat die EU als Ganzes noch mehr Handel mit der Ukraine, doch ist China seit Jahren das wichtigste Außenhandelspartnerland der Ukraine. Auch wenn die Ukraine ihre Verbundenheit mit Europa stets sehr betont, haben im Handel doch häufig chinesische Firmen den Zuschlag erhalten. Hoffnungen der Ukrainer auf größere chinesische Investitionen haben sich allerdings nicht erfüllt. 

Das verbesserungswürdige Investitionsklima in der Ukraine schreckt chinesische Firmen oft ab. Chinesische Unternehmen sind aber am Ausbau von zwei ukrainischen Häfen beteiligt und die China Pacific Construction Group hat den Auftrag für den Bau einer neuen Metrolinie in Kiew erhalten. 

Für China ist die Ukraine vor allem als Getreidelieferant sowie als Transitland der Seidenstraße interessant. Allerdings läuft der Hauptweg der Schienen-Seidenstraße nach Europa über Rußland und Belarus weiter nach Polen. Nur knapp fünf Prozent des Frachtvolumens werden über die Ukraine geleitet. Schon kurz nach Ausbruch des Krieges beschlossen chinesische Planer, den Frachtverkehr auf die Hauptstrecke über Weißrußland zu verlagern.  Diese Route führt durch Kasachstan, Rußland und Weißrußland bis zum polnischen Małaszewicze, dem wichtigsten Umschlagsplatz auf dieser Strecke.

Viele europäische Logistikdienstleister haben ihre Dienstleistungen sowohl in der Ukraine als auch in Rußland eingestellt, beispielsweise Kühne + Nagel bereits seit dem 1. März. Die aktuellen Entwicklungen haben die Rolle von Belarus weiter gestärkt. Dabei war es in den vergangenen zwei, drei Jahren teilweise zu einer Verlagerung von Belarus in die Ukraine gekommen, da der sehr starke Anstieg des Schienenverkehrs auf der Seidenstraße von den Belarussen kaum noch bewältigt werden konnte.

Die größer gewordene Rolle von Weißrußland auf der Seidenstraße liegt ganz im Konzept von Präsident Alexander Lukaschenko. Dieser hatte den Chinesen stets den roten Teppich ausgerollt. Prägnantes Beispiel dafür ist der Industriepark „Great Stone“ ganz in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Minsk. Mittlerweile zählt „Great Stone“ zu den größten von China errichteten Industrieparks in Europa.

Lukaschenko hat es vermutlich auch aufgrund seiner Interessen an „Belt and Road“ bisher vermieden, sich am Ukrainekrieg direkt zu beteiligen. Und eine Blockade durch den Nachbarn Polen ist kaum zu erwarten. Zum einen hat dieser eher wenig Interesse daran, sich mit Peking anzulegen, und zum anderen profitiert auch Polen stark vom Transitverkehr über den polnischen Teil der Seidenstraße.

Rußland bleibt trotz des Krieges vorerst ein sehr wichtiges Transitland der Seidenstraße. Da China keine Sanktionen gegen Rußland verhängt hat, kann es auch weiter den Zugverkehr über russisches Territorium laufen lassen. Ein Problem ist allerdings, daß verschiedene westliche Logistikdienstleister ihre Tätigkeit in Rußland eingestellt haben. Auch deshalb soll der Südkorridor der Neuen Seidenstraße über Kasachstan, Aserbaidschan und die Türkei weiterentwickelt werden. Ganz besonders die Türkei und Aserbaidschan, die ihre Beziehungen zu der asiatischen Großmacht ausbauen wollen, haben ein großes Interesse an einer verstärkten chinesischen Präsenz.

Doch gegenwärtig ist der Südkorridor noch nicht in der Lage, wesentlich mehr Züge als bisher aufzunehmen. Ein Ausbau ist geplant, aber vermutlich ist dieser nicht in wenigen Monaten möglich. Die einfachste Möglichkeit, Rußland und die Ukraine zu umgehen, ist daher eine Erhöhung der Transporte auf dem Seeweg, also dem maritimen Weg der Seidenstraße. Die maritime Seidenstraße durch den Indischen Ozean, das Rote Meer, den Suezkanal und das Mittelmeer zu den Zielhäfen Piräus und Triest ist bereits jetzt ein Erfolgsmodell. Piräus ist mittlerweile der größte Hafen im Mittelmeer und zu einem wichtigen Ziel der gewaltigen chinesischen Containerflotte geworden. Der chinesische Konzern Cosco hat vor einigen Jahren die Mehrheit am Hafen erworben. Seitdem wächst dieser Hafen stark und wird effizienter gemanagt als zuvor unter griechischer Leitung.

Die durch den Ukrainekrieg verursachte Krise von Belt and Road ist ganz sicher nicht dessen Ende. Peking hat seine Position in vielen Regionen entlang der Seidenstraße, aber auch darüber hinaus so stark ausgebaut, daß es selbst bei einer Einschränkung oder vorübergehenden Unterbrechung der Transporte über die Seidenstraße dort ein bestimmender wirtschaftlicher und oft auch politischer Faktor bleibt. Auch maritim hat China seine Position durch den Ausbau verschiedener Häfen entlang des Indischen Ozeans und des Roten Meeres gefestigt.

Chinas wachsende Dominanz im Globalen Süden

China geht mit großem Geschick vor. Bereits in den achtziger Jahren hatte der damalige Parteichef Deng Xiaoping seinen Landsleuten empfohlen: „Das Licht unter den Scheffel stellen und auf die richtige Gelegenheit warten.“ Der Westen, sowohl die europäischen Kolonialmächte als auch später die Weltmacht USA, schreckten oft vor militärischer Gewalt nicht zurück, um ihre Interessen durchzusetzen. China hat dies bisher stets vermieden. 

Die wirtschaftliche Expansion der Chinesen in den Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas wird meist durch umfangreiche Infrastrukturprojekte begleitet, von denen lokale und regionale Interessengruppen in Politik und Wirtschaft stark profitieren. Der Politologe Uwe Hoering von der Stiftung Asienhaus aus Köln bewertet es folgendermaßen: „Es ist keine Frage, daß viele der Infrastrukturprojekte, also Straßenbau, Bahnen, Kohlekraftwerke, Staudämme, sehr erfolgreich waren – durchaus weit erfolgreicher als westliche Ambitionen und Projekte in diesen Bereichen. Was natürlich die Attraktivität der Seidenstraße für diese Länder ausmacht.“

Mit der Gründung der pazifischen Freihandelszone RCEP hat das „Reich der Mitte“ zudem seine Belt and Road Initiative strategisch klug ergänzt. An dieser beteiligen sich die zehn Asean-Staaten und Südkorea ebenso wie die chinakritischen Japaner und Australier. China ist die dominierende wirtschaftliche Macht der Freihandelszone und repräsentiert ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung. Durch die Reduzierung von Zöllen und die Festlegung gemeinsamer Handelsregeln profitiert die chinesische Exportwirtschaft weiter. 

Die EU ist mit ihrem Vorhaben gescheitert, ein europäisches Gegenmodell zur Neuen Seidenstraße zu entwickeln. Die sogenannte Konnektivitätsstrategie der EU, mit der die Kooperation mit asiatischen Staaten vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Energie und Digitales vorangetrieben werden soll, wirkt planlos und ist schlecht finanziert.

Will Deutschland die Wachstumsmärkte für sich stärker erschließen, ist es in vielen Ländern auf eine Kooperation mit China angewiesen. Zu stark ist dessen Position in Asien und Afrika. Sollten Deutschland und die EU sich deutlich gegen die asiatische Großmacht positionieren, könnte Peking vieles blockieren. Zudem hat die chinesische Führung ein Interesse daran, mehr Länder an Belt and Road zu beteiligen. So will sie verhindern, daß die Seidenstraße in der internationalen Öffentlichkeit als rein chinesisches Projekt angesehen wird.

Den Skeptikern einer wirtschaftlichen Kooperation mit China im konservativen Lager sollte zu denken geben, daß gerade die Grünen, die nichts mehr fürchten als ein wirtschaftlich und politisch starkes Deutschland, besonders vehement den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen mit China bekämpfen. Deutschlands Wirtschaft profitiert stark von einer engen wirtschaftlichen Kooperation mit China. Aufgrund der Verschiedenheit der politischen Systeme bleibt eine politische Allianz Deutschlands mit Peking aber unwahrscheinlich.

Informationen der IHK Hamburg:  ihk.de