© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Grüße aus … Rio
Beeindruckende Naturreise
Wolfgang Bendel

Der kleine Ort im Mündungsgebiet des Jequitinhonha, den wir überqueren wollten, war im Lauf der Zeit immer mehr in Vergessenheit geraten. Seit der Kakaoboom infolge des Auftretens eines Pilzes jäh unterbrochen worden war, hatte Belmonte im brasilianschen Bundesstaat Bahia jede Bedeutung verloren, der Ort dämmerte wie in einer Zeitsenke verborgen vor sich hin. Der lange Kai, an dem einst unzählige Kakaosäcke und andere Güter auf Schiffe verladen worden waren, lag verwaist da. Nur an einer Stelle gab es etwas Bewegung. Einige Personen warteten auf die Abfahrt eines schmalen motorisierten Kahns, der sie über das weitverzweigte Mündungsgebiet in die nächstgelegene kleine Stadt bringen sollte. Wir gesellten uns zu den Anwesenden: „Ja, das Boot fährt demnächst ab. Haben Sie etwas Geduld. Wir warten noch auf zwei weitere Fährgäste“, versicherte uns der Bootslenker.

Tief beugten sich die Äste der Bäume nach unten und immer wieder mußten wir unsere Köpfe einziehen.

Endlich trafen die verspäteten Passagiere ein, und wir konnten die steile Treppe nach unten gehen und die bedenklich wackelnde Nußschale betreten. Wir fuhren ab. Der Fluß war an dieser Stelle bereits so breit geworden, daß das gegenüberliegende Ufer nur als schmaler grüner Streifen erkennbar war. Das Boot durchpflügte das wellige Wasser, wobei mancher Wasserspritzer die Fahrgäste erwischte und durchnäßte. Wir näherten uns dem anderen Ufer, durchbrachen die nur scheinbar undurchdringliche grüne Wand und fuhren in einen wesentlich kleineren Seitenarm des Flusses ein.

 Die Bäume ringsherum standen im Wasser, auf kleinen Anhöhen sah man Holzhütten, die auf Stützpfählen errichtet waren, um die Bewohner vor Hochwasser zu schützen. Wir waren in den Mangrovenwäldern angekommen. Schnell blieben die letzten Zeichen menschlicher Besiedlung zurück, der Bootsführer fuhr in immer kleinere und schmalere Kanäle ein. Tief beugten sich die Äste der Bäume nach unten und immer wieder mußten wir unsere Köpfe einziehen, um nicht vom Gezweig getroffen zu werden. Wir tauchten in eine unwirklich erscheinende Welt ein. Nur Wasser und Pflanzen, gelegentlich einige Vögel bestimmten das Bild. 

Nichts schien fixiert, stabil oder fest, alles blieb unvorhersehbar, provisorisch, keineswegs endgültig oder definitiv. Nach einiger Zeit öffnete sich das Bild wieder, die Wasserstraßen wurden wieder breiter und überraschend befanden wir uns nun am offenen Meer, von dem uns lediglich einige flache Sandbänke trennten. Dann tauchten am Horizont bereits die ersten Gebäude von Canavieiras, unserem Reiseziel, auf. Die beiden Städte sind auch über zumeist gut ausgebaute Straßen verbunden, die in einem weiten Bogen durch das Hinterland führen. Aber Brasiliens größte Mangrovenwälder würde man bei dieser Variante verpassen und damit ein beeindruckendes Naturerlebnis.