© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

EZB-Rat kündigt den ersten Zinserhöhungsschritt für Juli an
Ein fahrlässiges Spiel
Thorsten Polleit

Die Inflation im Euroraum kletterte auf 8,1 Prozent. Doch der Leitzins liegt weiter bei null Prozent. Zwar hat der EZB-Rat beschlossen, den Zins im Juli um 0,25 Prozent zu erhöhen, gefolgt von einem weiteren Schritt von eventuell 0,5 Prozentpunkten im September – und danach sollen die Zinsen weiter angehoben werden. Doch das reicht nicht, um die drastische Kaufkraftentwertung des Euro zu beenden. Es scheint, daß die Begrenzung der Inflation keine Priorität in der Geldpolitik genießt.

Das Hauptaugenmerk der EZB-Räte gilt vielmehr der Finanzierung der Staatshaushalte. Und die profitieren in besonderer Weise von der inflationären Geldpolitik: Viele Euro-Länder können sich nicht nur zu extrem niedrigen Zinsen neue Kredite beschaffen. Da die Inflation viel höher ist als der Zins, zahlen die Staaten einen negativen Realzins auf ihre Darlehen. Das Staatsbudget wird entlastet, unkundige Gläubiger verlieren ihr Kapital. Vermutlich versuchen die EZB-Räte das Folgende: Mit der Ankündigung, die Zinsen etwas anzuheben, will man das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit in den Euro aufrechterhalten. Gleichzeitig will man aber die notwendige Verteuerung der Zinskosten so weit wie eben möglich in die Zukunft verlagern, um den Staaten nicht in die Parade zu fahren. Hinzu kommt vermutlich auch die Einsicht, daß die Euro-Wirtschaft höhere Zinsen, vor allem eine Rückkehr der Realzinsen über die Nullinie, nicht ohne eine große Krise verkraften kann. All das veranlaßt die EZB-Räte, höhere Inflation für länger zu produzieren, um die aufgeblähten Staatshaushalte und die Euro-Wirtschaft nicht zu gefährden.

Doch das ist ein fahrlässiges Spiel. Inflation, erst einmal auf den Weg gebracht, fügt nicht nur der breiten Bevölkerung großen Schaden zu, sie entwickelt nur allzu leicht eine Eigendynamik, die sich nicht mehr bändigen läßt. Die Währungsgeschichte ist voll von Beispielen, daß eine Inflationspolitik ein schlimmes Ende nimmt. Eine fortgesetzte Hochinflation könnte sogar das Ende des Euro einläuten. Ein Auslöser dafür wäre, daß die Menschen aufwachen und erkennen, daß die Geisteshaltung, die im EZB-Rat herrscht, der Inflation kein schnelles und entschiedenes Ende machen will und kann. Sparer und Investoren haben gute Gründe, sich gegen das Szenario eines Euro-Crashs zu wappnen.