© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Scheinbare Gerechtigkeit
Besteuerung von „Übergewinnen“: Politischer Wille schlägt ökonomische Rationalität
Dirk Meyer

Kriegs- und Krisengewinne mit einer Extrasteuer zu belegen, das tut der Volksseele gut. Schließlich zahlen die Verbraucher die „Sanktionszeche“. Sie müssen mit ansehen, wie sich „die Mineralölkonzerne in der Krise die Taschen noch voller machen“, so SPD-Chef Lars Klingbeil. Zu den Gewinnern zählt auch Rußland, das 2022 mit Mehreinnahmen von 14 Milliarden Euro rechnet. Die Aktienkurse von Rüstungskonzernen haben wegen des „Sondervermögens Bundeswehr“ (JF 19/22) zugelegt – die 100 Milliarden Euro versprechen „Sonderprofite“. Auch die dort Beschäftigten und Neueingestellten können wohl mit tariflichen Extrazulagen rechnen.

Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen haben vorige Woche eine Initiative zur Übergewinnabschöpfung in den Bundesrat eingebracht. Doch Steuern auf Übergewinne sind keine rot-grün-rote Erfindung, sie haben eine lange Tradition. Die USA erhoben 1917 eine „Excess Profits Tax“ auf den Gewinn von Gewerbetreibenden, deren Rendite über sieben bzw. neun Prozent lag. Die „Kriegsgewinne“ wurden mit einem progressiven Steuersatz von 20 bis 60 Prozent belegt. Ähnlich sah die US-Zusatzsteuer von 1940 bis 1945 aus, wobei die „Normalrendite“ jetzt zwischen fünf und acht Prozent definiert wurde und der Steuersatz sogar auf bis zu 95 Prozent angehoben wurde.

Renaissance eines Konzepts aus Kriegs- und Inflationszeiten

Großbritannien reagierte ähnlich, wobei als Bezugsgröße der Gewinn in Friedenszeiten galt. Frankreich führte 1916 rückwirkend eine Kriegsgewinnsteuer ein, deren Vergleichsmaßstab der Durchschnittsgewinn der drei letzten Geschäftsjahre des Unternehmens vor Kriegsbeginn war. Ebenfalls rückwirkend wurde 1945 eine einmalige progressive „nationale Solidaritätssteuer“ erhoben. Sie umfaßte eine Vermögensabgabe und eine Vermögenszuwachssteuer auf die Gewinne während der Besatzungszeit von 1940 bis 1945, die bis zu 100 Prozent betrug. Besondere Marktlagengewinne führten in den Ölpreiskrisen 1973 und 1979 auch in Deutschland zur Diskussion um eine Steuer auf „Zufallsgewinne“ (Windfall Profits). Das Land Niedersachsen schöpfte über eine Ölförderabgabe tatsächlich einen Teil der Einnahmen aus der dortigen Förderung ab, was in der Spitze 1985 zu Steuereinnahmen von zwei Milliarden D-Mark führte.

Aktuell schlägt die EU-Kommission den Mitgliedstaaten „die vorübergehende Besteuerung von Zufallsgewinnen“ vor, um energiepreisbedingte Lasten von Firmen und Verbrauchern auszugleichen. In Griechenland müssen Unternehmen des Energiesektors 90 Prozent ihrer Extraprofite an den Staat abgeben. In Italien wurde eine „außerordentliche Solidaritätsabgabe“ (Decreto-Legge) eingeführt, die eine Art „Überumsatzsteuer“ von zehn Prozent auf den derzeit erzielten Zusatzumsatz darstellt. In Großbritannien wurde ein Steuerzuschlag von 25 Prozent auf den gesamten Gewinn der Öl- und Gaskonzerne für ein Jahr beschlossen. Von daher erscheint die Forderung nach einer Übergewinnsteuer, wie sie von der Linken, den Grünen, der SPD und Teilen der CDU aktuell vorgebracht wird, mehr als gerechtfertigt. Doch wie praktikabel und ökonomisch sinnvoll wäre sie? Was wäre eine Alternative?

Der Gewinn im marktwirtschaftlich-wettbewerblichen Prozeß beruht auf Leistung in der Bewertung der Nachfrager. Vorangegangen sind Konsumverzicht und Investitionen, einhergehend die Wagnisübernahme für den möglichen Verlust des Kapitals. Anstrengung und Fleiß, die richtige Idee, Vorsorge, Spekulation – man nennt das auch Glück – kommen hinzu. Das Ergebnis sind Knappheits- und Innovationsgewinne, von denen in Deutschland bereits etwa 30 Prozent an Körperschafts- und Gewerbesteuer abgehen.

Jeder Innovationsgewinn ist ein im Zeitablauf durch Konkurrenz rückläufiger Monopol- bzw. Übergewinn. Den zusätzlich zu besteuern hieße beispielsweise, die Anreize zu aufwendiger Impfstoff-Forschung zu beseitigen. Ebenfalls sind besondere Knappheitsgewinne notwendig, um schnell entsprechend erweiterte Angebote zu schaffen. So verwenden BP, Shell und Chevron ihre derzeit enormen Gewinne auch zu Produktionsumstellungen und Investitionen in Alternativenergien. Krisengewinne wegzusteuern hieße, eine schnelle und intelligente Krisenreaktion zu verhindern.

Doch was wäre der Maßstab für einen Normalgewinn? Zum einen könnte man eine „Normalrendite“ für das eingesetzte Kapital im Erhebungsjahr auf der Grundlage aller Unternehmen definieren. Firmen, die bereits vorher hohe Gewinne einfuhren, oder Branchenbesonderheiten (Risiko, Innovationsneigung) werden dann mitbesteuert. Hinzu kommen grundsätzliche technische Fragen: Auf welche Bezugsbasis „Kapital“ soll die Rendite bezogen werden? Wird nur das Eigenkapital herangezogen, so lohnt sich die Aufnahme von hochverzinstem Fremdkapital eines verbundenen Unternehmens, das in einer anderen Branche bzw. in einem anderen Land ansässig ist.

Zeitliche Gewinnverlagerungen durch legale Bilanztricks möglich

Soll man etwa Eigenkapital herausrechnen, dessen Erträge wie Beteiligungseinkünfte teilweise steuerfrei sind? Zum anderen könnte der jeweilige Unternehmensgewinn aus dem Durchschnitt der Vorjahre genommen werden. Firmeninterne Verbesserungen und individuelle Auftragskonjunkturen schlagen dann voll durch. Da die Übergewinnsteuer für einen begrenzten Zeitraum erhoben wird, können zeitliche Gewinnverlagerungen generell durch Abschreibungen und Rückstellungen vorgenommen werden, die eine legale Umgehung ermöglichen. Im Ergebnis ist die Bezugsgröße „Normalgewinn“ nicht ohne Willkür und führt zu Fehlanreizen. Hinzu kommen rechtliche Bedenken. So muß eine Übergewinnsteuer mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz) vereinbar sein.

Eine Übergewinnsteuer wird vornehmlich mit Gerechtigkeitsaspekten begründet. Doch ist selbst dieser Erfolg fraglich. Eine Übergewinnsteuer kann zu Teilen auf die Preise gelegt werden, wenn die Nachfrager kaum ausweichen können und wir einen Verkäufermarkt haben. Statt mit einer nur bedingt wirksamen Besteuerung von Übergewinnen fragwürdige Benzin- und Dieselpreissenkungen zu finanzieren (temporäre Reduzierung der deutschen Energiesteuer), wäre ein Importzoll auf russisches Erdöl und Erdgas wesentlich effektiver. Zwar steigt der Bruttopreis dieser Energien, doch sind die staatlichen Zolleinnahmen höher als der Preisanstieg für die Nachfrager. Insofern erzielt Rußland weniger Exporterlöse, und das Inland kann die Zolleinnahmen zum Ausgleich an die Haushalte umverteilen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.