© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Die Wallet soll die Geldbörse ersetzen
Digitales Zentralbankgeld (CBDC): Ob Demokratien oder Schurkenstaaten – viele Länder arbeiten an der Einführung virtueller Währungen
Björn Harms

Betrachtet man Verlautbarungen und Presseerklärungen verschiedenster Zentralbanken oder Regierungsberater, scheint die Sache klar: Nicht ob Zentralbanken eine digitale Version ihrer Währungen einführen wollen, sondern lediglich wann, lautet die Frage. Ganze 109 Länder, die mehr als 95 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes ausmachen, erproben oder konzipieren derzeit einen sogenannten Central Bank Digital Currency (CBDC), also eine von der Zentralbank herausgegebene digitale Währung. Den ersten Versuch wagten die Bahamas. Die Zentralbank des kleinen Landes in der Karibik führte bereits im Oktober 2020 mit dem Sand-Dollar den weltweit ersten CBDC ein. Nigeria und Jamaika folgten der Idee, weitere sieben kleine karibische Inselstaaten taten es ihnen gleich.

Doch wozu eigentlich CBDCs? Bereits jetzt ist ein Großteil des weltweiten Geldumlaufs nicht mehr physischer Natur, sondern nur elektronisch als Bankguthaben vorhanden. Der Bargeldgebrauch sinkt, die Zahl der elektronischen Transaktionen steigt. Doch gilt als gesetzliches Zahlungsmittel bislang nur das Bargeld. Das würde sich mit der digitalen Währung ändern. Zudem versuchen die Zentralbanken sich natürlich auch der aufkommenden Konkurrenz in den Weg zu stellen. Denn das neue Ökosystem des digitalen Zahlungsverkehrs, das auch private Zahlungsapps wie Apple Pay oder Alipay in Wettbewerb zu herkömmlichen Banken treten läßt, berücksichtigt im Grunde weder Nationalstaaten noch nationale Grenzen. Noch weniger kommt es für die Zentralbanken in Frage, einer dezentralen Kryptowährung wie Bitcoin in der digitalen Sphäre das Feld zu überlassen.

In Afrika wird vergleichsweise viel mit Bitcoin gezahlt

Deshalb arbeiten alle großen Akteure wie China, die USA oder die EU an ihren digitalen Währungen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, will eigenen Angaben zufolge „sicherstellen, daß Bürger und Unternehmen auch im digitalen Zeitalter Zugang zur sichersten Form des Geldes, dem Zentralbankgeld, haben“. Gleichzeitig verspricht die EZB: „Bargeld würde durch einen digitalen Euro nicht ersetzt, sondern ergänzt.“ Die Untersuchungsphase der EZB soll nun noch bis 2023 laufen. Anders als bei Krypto-Anlagen stehe eine zentrale Instanz hinter der digitalen Währung, weshalb diese „risikofrei“ sei, meinen die Zentralbanker. Der Euro als risikolose Währung? Eine Aussage, die sicher viele eurokritische Ökonomen vehement bestreiten würden.

Im wesentlichen unterscheidet man zwischen zwei verschiedenen Formen der digitalen Währung, den „Retail“-CBDCs (Einzelhandel) und den „Wholesale“-CBDCs (Großhandel). Erstere werden an jeden Endverbraucher ausgegeben. Bei diesem Modell können die Bürger ihr Geld in einer digitalen Brieftasche („Wallet“) aufbewahren und für Zahlungen verwenden. Die zweite Form beschäftigt sich ausschließlich mit den Geldflüssen zwischen großen Firmen und Banken. Zahlreiche Länder arbeiten bereits seit Jahren an der Einführung einer solchen digitalen Währung, ohne daß die breite Öffentlichkeit groß davon Kenntnis genommen hätte. Einige Länder wie Singapur, Malaysia und Saudi-Arabien konzentrieren sich auf den CBDC für Großkunden. Die meisten jedoch entwickeln entweder ein CBDC für den Einzelkunden oder ein hybrides System.

Der Jahresbericht der Reserve Bank of India, der Ende Mai veröffentlicht wurde, verkündete nun die schrittweise Einführung einer digitalen Zentralbankwährung für das laufende Finanzjahr bis März 2023. Entsprechendes hatte Finanzministerin Nirmala Sitharaman bereits im Februar mitgeteilt. Gesetze, die den Rahmen für die digitale Rupie bilden, wurden bereits erlassen, womit Indien eine Führungsrolle unter den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt einnimmt.

Auch in Afrika tut sich einiges. Südafrika, Ägypten, Mauritius oder Ghana arbeiten unter Hochdruck an ihren Projekten. In Ghana und anderen Staaten ist dabei auch der deutsche Banknotenhersteller und Konzern für digitale Sicherheit Giesecke+Devrien in die Entwicklung eingebunden.

Daß gerade in ärmeren Ländern intensiv an 

CBDCs geforscht wird, ist nicht verwunderlich. Viele Menschen in Indien, und mehr noch in Afrika, sind vom Bankensystem ausgeschlossen. Doch sie haben Mobiltelefone, was dafür gesorgt hat, daß sich die Adaption von Kryptowährungen verstärkt. Im vergangenen Jahr war auf keinem anderen Kontinent der Anteil von Bitcoin-Zahlungen am gesamten Transaktionsvolumen so hoch wie in Afrika. Die direkte Konkurrenz macht den Zentralbanken zu schaffen, denn Banken sind in diesem Ökosystem überflüssig. Jeder kann seine Bitcoins selbst verwalten, um mit ihren zu handeln, wenngleich auch jeder das Risiko eines Totalverlustes mit sich selbst ausmachen muß. Gleichzeitig droht eine Destabilisierung der jeweiligen Landeswährung, wenn immer mehr Menschen ihr Geld aus dem herkömmlichen Finanzsystem abziehen.

Die Zentralbank Chinas hat auf diese Gefahr bereits reagiert: Der digitale Yuan ist schon in der Probephase und soll bis 2023 vollständig etabliert sein. Laut Zentralbank soll dieser nicht nur die Effizienz von Transaktionen innerhalb Chinas steigern, sondern auch als Reaktion auf die Bedrohung durch Kryptowährungen zu verstehen sein. Im September 2021 hatte China den Handel mit Kryptowährungen bereits für illegal erklärt und das Bitcoin-Mining verboten. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich knapp 40 Prozent der weltweiten Miner in China, die anschließend auf umliegende Länder auswichen.

Auch in Rußland, das hinter den USA und Kasachstan auf Platz 3 bei der Miningaktivität steht, drängte der allmächtige Inlandsgeheimdienst FSB lange Zeit auf ein solches Verbot. Bitcoin werde zunehmend zur Finanzierung regierungskritischer Organisationen und Medien genutzt, so die Begründung. Mit dem Ukraine-Krieg hat sich die Einstellung gewandelt. Der Ausschluß Rußlands aus dem internationalen Swift-System hinterläßt Spuren. Mittlerweile sprechen sich im Kreml führende Politiker wie Handelsminister Denis Manturow dafür aus, an der Zulassung von Kryptowährungen als Zahlungsmittel zu arbeiten. Da auch die Ukraine den Nutzen erkannt hat und Millionen an Spenden über das Bitcoin-Netzwerk eingesammelt hat, spricht die Washington Post vom ersten „Krypto-Krieg“, bei dem nicht abzusehen sei, wer am Ende profitiere.

Snowden warnt vor dem Verlust der Freiheit durch digitales Geld

Doch die Zentralbanken schauen nicht untätig zu. Auch die Zentralnyj Bank Rossijskoj Federazii will einen digitalen Rubel einführen. Chefin Elwira Nabiullina teilte gegenüber der russischen Zeitung Wedomosti mit, daß ab 2023 ein erstes Pilotprojekt ausgerollt werden solle. Das Vorhaben habe dabei eine „hohe Priorität“.

Sowohl in Rußland als auch in Europa wächst jedoch das Unbehagen vor der möglichen digitalen Überwachung. Daß die Angst vor einer geldlichen Zensur dabei nicht unbegründet ist, zeigen selbst die Äußerungen der Befürworter von CBDCs. Im Herbst 2021 pries etwa US-Wirtschaftsprofessor Eswar Prasad in der New York Times die Vorteile einer digitalen und zentral kontrollierten Währung: „Da Transaktionen per CBDC überwacht und im gleichen Zuge unterbunden werden könnten, ließe sich Finanzkriminalität besser erkennen und bekämpfen“, erklärte Prasad. Doch in Zeiten, in denen sogar in liberalen Demokratien aufmüpfigen kanadischen Truckerfahrern, die gegen die Corona-Maßnahmen protestieren, vereinzelt Konten gekündigt werden, entwickelt sich „Finanzkriminalität“ zu einem zunehmend schwammigen Begriff.

Auch deshalb sieht der bekannte NSA-Whistleblower Edward Snowden in den CBDCs eine Gefahr für die finanzielle Unabhängigkeit der Bürger. Regierungen könnten „unsere Freiheiten, Geld zu nutzen, immer stärker einschränken“, warnt er. Das Beispiel Kanada zeige bereits jetzt: „Die Regierung ist in der Lage, uns auf Knopfdruck unser Geld aus der Brieftasche zu nehmen. Das sollte uns alarmieren. Egal, ob man für oder gegen diesen speziellen Protest ist.“

Mit einer digitalen Währung wäre es künftig noch einfacher, jeglichen Widerstand in der Bevölkerung zu brechen, meint auch der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring. „Wenn vorher eingeführt ist, daß Menschen, die Unerlaubtes tun, mit Kontensperrungen oder Nutzungseinschränkungen unterschiedlichen Ausmaßes sanktioniert werden können, lassen sich die Sanktionen ohne weitere Ankündigung und ohne Notstand direkt umsetzen, als Teil des normalen Programms zur Durchsetzung der Regeln.“ Mitunter reiche bereits die bloße Androhung. Denn, so fragt Häring, „wer würde sich unter solchen Bedingungen schon an für illegal erklärten Protestaktionen beteiligen oder diese unterstützen“?

 www.atlanticcouncil.org

 Siehe auch S. 18 zum digitalen Zentralbankgeld