© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Psychische Folgekosten der Digitalisierung
Neue kulturelle Matrix
(ob)

Digitalisierung bezeichnet nicht nur eine technologische Veränderung, sondern auch folgenreiche kulturelle Transformationen, die nur als grundlegende gesellschaftliche Zäsur zu begreifen seien. Für die Sozialpsychologin Vera King (Universität Frankfurt/M.) könne man sich diese Umwälzung des Hergebrachten nicht umfassend und tiefgreifend genug vorstellen, wie sie sich in Produktion und Konsum, Arbeit und Freizeit, Beziehungen und individuellen Entwicklungen vollzögen. Digitale Praktiken relativierten den lebensweltlichen Vorrang der „wirklichen“ zugunsten der digitalen Welt. Entferntes rücke als medial erlebbar näher, während das Nahe an Bedeutung verliere, wenn Kommunikation und leibliche Präsenz auseinanderstreben. Die Digitalisierung der Gesellschaft bilde insofern auch durch die Überlagerungen von Online- und Offline-Kommunikation neue Bedingungen für Kultur und Psyche sowie, vor allem für Kinder und Jugendliche, eine neue kulturelle Matrix des Zusammenlebens. Kulturell und psychisch auf besondere Weise umstürzend seien die gewandelten Bedeutungen von Raum und Zeit, Anwesenheit und Abwesenheit, Nähe und Distanz in Verbindung mit einer Omnipräsenz, die jederzeit in die Intimität hineinreichen könne. Intrapsychisch verschiebe die „enorme Bindekraft der digitalen Medien“ die Wahrnehmungen der Innen- und Außenwelt und erzeuge gerade bei Heranwachsenden sklavische Abhängigkeiten von der Bewertung durch andere Netzbewohner. Der so aufgebaute permanente „Vergleichsdruck der Optimierungskultur“ lasse darum bei vielen Jugendlichen nur ein labiles, fremdbestimmtes Selbstwertgefühl zu (Die Politische Meinung, 573/2022). 


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