© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Dorn im Auge
Christian Dorn

Möglicherweise begann alles mit dem „Unternehmen Capricorn“. Seinerzeit noch Thälmannpionier, sah ich mit atemloser Spannung den US-amerikanischen Science-fiction-Thriller über die gescheiterte Mars-Mission in der DDR des Jahres 1979 im Halberstädter Union-Filmtheater. Dieses steht heute noch, befindet sich aber seit Jahrzehnten in einem Dornröschenschlaf. Entsprechend inspiriert, schrieb ich – war ich damals bereits „Agitator“? – in ein aus Recycling-Papier hergestelltes häßliches DIN-A5-Heft eine Science-fiction-Geschichte, an deren Titel und Inhalt ich mich nicht mehr erinnere. Möglicherweise hatte ich damals bereits US-Astronauten und sowjetische Kosmonauten auf gemeinsame Mission geschickt – jedenfalls würde das erklären, weshalb ich schon damals nicht wußte, wie ich die Handlung fortführen sollte. Unvergessen dagegen die Deutschstunde bei Frau Dr. Neumann, der ich meine – noch unvollendete – Science-fiction-Geschichte auslieh und deren fußballbegeisterter Mann davon so gefesselt war, daß er darüber sogar die TV-Übertragung der europäischen Fußball-Wettbewerbe vergaß.

Im Gespräch mit Tellkamp hatte sich Durs Grünbein wie ein blasierter DDR-Kulturfunktionär aufgeführt.

Entsprechend neugierig besuche ich die Premiere von Ines Geipels neuem Buch „Schöner Neuer Himmel“ (Klett-Cotta) über die Geheimforschung des DDR-Militärs zur Beherrschung des Weltraums – anstelle von Angela Merkels erstem öffentlichen und ausverkauften Auftritt im Berliner Ensemble, befragt vom ostentativen Ostenversteher Alexander Osang. Moderiert wird Geipels Buchvorstellung von Deutschlands „bedeutendstem lebenden Dichter“ Durs Grünbein, so Klett-Cotta-Verleger Tom Kraushaar. Meine Wertschätzung für Grünbein ist spätestens seit seinem Auftritt im Dresdner Kulturpalast 2018, als sich der Dichter im Streitgespräch mit Uwe Tellkamp wie ein blasierter DDR-Kulturfunktionär aufgeführt hatte, vollständig geschwunden. Aus Sicht des Klett-Cotta-Verlages war der Auftritt des „genialen“ Büchner-Nachfolgers jedoch ein „heldenhafter“. Ich denke nur kurz: „Kein Ort. Nirgends“ und – keine „Grauzone morgens“.


Die einstige DDR-Leichtathletin Geipel, die im Sommer 1989 in den Westen gesprintet ist und deren Bücher – so Grünbein – jedesmal „ein Politikum“ seien, erklärt mit Blick auf ihr Buch „Generation Mauer“, sie habe seinerzeit „aus Durs Grünbein einen Mann im Mond“ gemacht. Doch wer holt jetzt die Laterne raus? Jedenfalls ersetzt dieser Diskussionsabend nicht die Lektüre des Buches, dessen Inhalt nur andeutungsweise zur Sprache kommt. So sei die Weltraumgeschichte in der DDR die Geschichte des staatlichen Eingriffs in den Körper des Individuums gewesen. Der „Konzeptkörper“ habe den „Erdenkörper“ ersetzen sollen, obgleich die Weltraumfahrt den menschlichen Körper aufgrund der Schwerelosigkeit implodieren ließe. Beide, Grünbein wie Geipel, konstatieren, Menschen und Tiere dürften nicht für Experimente mißbraucht werden. Die aktuellen Spiegel-Anwürfe gegen Geipels Buch nennt Grünbein eine „Desinformationskampagne“, um den MfS-Ausdruck sogleich als „Satire“ zurückzunehmen. Fehlt nur noch der Sponsor „Kleiner Feigling“.