© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Wegbegleiter der Unabhängigkeit
Nationalromantik: Ein Pariser Museum zeigt beeindruckende Werke des finnischen Malers Akseli Gallen-Kallela
Karlheinz Weißmann

Der erste Raum der Ausstellung über den finnischen Maler Akseli Gallen-Kallela im Pariser Museum Jacquemart-André hat eine bemerkenswerte Wirkung auf die Besucher: Sie strömen, ohne die Bilder links und rechts zu beachten, auf ein großes Triptychon zu, das an der Wand gegenüber dem Eingangsbereich hängt. Die Ursache ist rasch identifiziert: Der Rahmen wurde in regelmäßigen Abständen mit handgroßen goldfarbenen Hakenkreuzen verziert. Die Verantwortlichen haben sicherheitshalber eine kurze Information angebracht, die erklärt, daß das Symbol in keinem Zusammenhang mit der NS-Ideologie stehe, sondern eine Rolle in der finnischen Volkskunst gespielt habe.

Daß die für Gallen-Kallela große Bedeutung hatte, ist unbestreitbar. Sein Bild „Aino“, um das es hier geht, zeigt Szenen aus einer Sage. Sie erzählt von einem Sängerwettstreit zwischen dem alten Väinämöinen und dem jungen Joukahainen. Der Preis sollte nichts weniger als das Leben des Unterlegenen sein. Väinämöinen siegt, und Joukahainen bietet ihm verzweifelt seine Schwester Aino als Gemahlin an, wenn er verschont wird. Väinämöinen willigt ein, aber Aino flieht vor seinen Nachstellungen an einen See, in dem sie ertrinkt. Aber sie stirbt nicht, sondern wird in eine Nixe verwandelt. Später kann Väinämöinen sie in seinem Netz fangen, weil sie die Gestalt eines Fisches angenommen hat. Doch sie entkommt ein weiteres Mal, wieder eine schöne junge Frau, die den solchermaßen Genarrten verspottet.

Früh schloß Gallen-Kallela sich der jungen Nationalbewegung an

Die Geschichte von Aino gehört zum finnischen Nationalepos, dem 1835 erstmals veröffentlichten Kalevala. Durch das „Finnische Erwachen“ im 19. Jahrhundert erlangte es Bekanntheit und Bedeutung. Ohne diesen Hintergrund – die Rückbesinnung der Finnen auf ihre kulturelle und nationale Identität – ist weder der Lebensweg noch das Werk Gallen-Kallelas zu verstehen. Am 26. April 1865 wurde er als Axel Waldemar Gallén im Großfürstentum Finnland geboren, das zum damaligen Zeitpunkt Teil des Russischen Reiches war. Aufgrund seiner Herkunft gehörte er zur einheimischen Elite, die in der Regel loyal zu Sankt Petersburg stand. Aber Gallen schloß sich der jungen Nationalbewegung an, finnisierte später seinen Namen und betrachtete seine Kunst ausdrücklich als Beitrag zur Erneuerung Finnlands.

Gallen-Kallelas Begabung wurde früh erkannt und gefördert. Anfangs arbeitete er als Maler noch im akademischen Sinn, doch die Tendenz änderte sich nach einem Aufenthalt in Paris zwischen 1884 und 1889, wo er mit Impressionismus und Symbolismus in Berührung kam. Ersterer beeinflußte vor allem die Gestaltung des Zusammenspiels von Licht und Wasser in Gallen-Kallelas wunderbaren Landschaftsbildern, die das Jacquemart-André in einer umfangreichen Auswahl zeigt. Bevorzugt hat er die Seen, die Wälder und Tundren in den kargeren und entlegeneren Regionen seiner Heimat gemalt. Dort hat sich Gallen-Kallela aber nicht nur aufgehalten, weil ihn die Einsamkeit faszinierte, sondern auch, weil die Volksüberlieferung in der Abgeschiedenheit noch lebendig war. Sie inspirierte ihn zu jenen Bildern, die seinen Ruhm begründeten, und zum bedeutendsten Vertreter der finnischen Nationalromantik in der Malerei machten.

In seinen Werken verarbeitete er theosophische Ideen

Durch den Rückgriff auf die Mythen hoffte Gallen-Kallela, dem modernen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, durch die Oberfläche seines Daseins, die Technik und Rationalität zu beherrschen drohten, in tiefere Schichten vorzustoßen. Ein Wunsch, der auch sein Interesse am „occult revival“ (James Webb) erklärt, das am Ende  des 19. Jahrhunderts zur Suche nach verborgenem Wissen und verborgenen Welten führte. Gallen-Kallelas kam damals in Berührung mit dem Symbolismus, dessen Einfluß an einer ganzen Reihe seiner Werke erkennbar wird, die für einen eigenen Bereich der Pariser Ausstellung zusammengefaßt wurden.

Hier fühlt man sich – etwa im Hinblick auf das großformatige Bild „Cosmos“ oder die Entwürfe für den finnischen Pavillon der Weltausstellung von 1900 – an zeitgleich entstandene Bilder des deutschen Lebensreform-Malers Hugo Höppener, genannt Fidus, erinnert. Eine Ähnlichkeit, die vor allem an dem schreinartigen Werk „Ad astra“ deutlich wird, das eine junge, fast androgyne Frau zeigt, die vor einer großen Sonnenscheibe und dem tiefblauen Himmel in einem Wolkenmeer steht. Das Haar ist aufgelöst und bildet einen Strahlenkranz um ihren Kopf, die Arme breitet sie weit auseinander, die Miene scheint entrückt, fast ekstatisch. Gallen-Kallela hat später geäußert, daß die Geste der Frau bewußt an Kreuzigung und Auferstehung Christi erinnern sollte, es ihm allerdings um die vollständige Befreiung des Seins von allen Bindungen durch die Macht des Geistes gegangen sei.

Es spricht einiges für die Annahme, daß Gallen-Kallela hier wie auch in anderen seiner Werke theosophische Ideen verarbeitete. Ein Aspekt, der wahrscheinlich auch die Verwendung des Hakenkreuzes auf dem Rahmen des eingangs erwähnten Triptychons erklärt. Es war jedenfalls nicht nur für den an Vorgeschichte und Volkskunde Interessierten von Bedeutung, sondern mehr noch für die Esoteriker der Jahrhundertwende, lange bevor seine Politisierung im eigentlichen Sinn begann. Die entfaltete im finnischen Nationalismus früh eine erhebliche Wirkung, als es ihm am Ende des Ersten Weltkriegs gelang, die russische Oberherrschaft abzuschütteln und einen souveränen Staat zu schaffen: Das Hakenkreuz diente jetzt als Emblem auf zahlreichen Auszeichnungen Finnlands wie als militärisches Hoheitszeichen.

Für das „Design“ der jungen Republik zeichnete in erster Linie Gallen-Kallela verantwortlich. Er gehörte zu den Köpfen der „weißen“, antibolschewistischen Bewegung um General Carl Mannerheim, den Vater der im Dezember 1917 erklärten finnischen Unabhängigkeit. Zusammen mit seinem Freund, dem Komponisten Jean Sibelius, galt Gallen-Kallela als einer der wichtigsten Vertreter des nationalen Kunstschaffens. Er starb allerdings schon am 7. März 1931 auf der Rückreise von einer Konferenz in Stockholm an den Folgen einer Lungenentzündung. Am 19. des Monats erwies ihm Finnland mit einem Staatsbegräbnis die letzte Ehre.

Die „Gallen-Kallela“-Ausstellung ist bis zum 25. Juli im Pariser Jacquemart-André Museum, 158 Bd Haussmann, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der reich illustrierte Katalog mit 184 Seiten in französischer Sprache kostet 32 Euro.

Wer einen Besuch des Museums plant, sollte genügend Zeit mitbringen, um auch das prächtige Interieur des Palais, in dem das Museum untergebracht ist, sowie die Sammlung italienischer Kunst des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance zu genießen, die dazugehört. 

 www.musee-jacquemart-andre.com