© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Wie ein verletztes Lamm
Kino: „Zwischen uns“ ist ein emotional aufwühlender Film über ein autistisches Kind
Dietmar Mehrens

Es ist eine herzzerreißende Nachricht, die Eva (Liv Lisa Fries) ihrem Sohn Felix (Jona Eisenblätter) zukommen läßt. „Lieber Felix, das Leben ohne dich fällt mir sehr schwer. Wenn du wieder mit mir sprechen willst, gib mir ein Zeichen. Ich hab’ dich sehr lieb.“ Schweren Herzens mußte Eva ihn in einer Einrichtung für autistische Kinder unterbringen. Felix leidet unter dem Asperger-Syndrom. Wenn sich eine unerwartete Störung in seinem direkten Umfeld ergibt, kann es sein, daß Felix komplett durchdreht. Mustergültig zeigt das das Beispiel Fischjacke: Als seine Mutter die Jacke, ein Geschenk des freundlichen Nachbarn Pelle (Thure Lindhardt), irgendwo liegengelassen hat, reagiert Felix darauf mit einer Dauerfeuer-Attacke: „Wo ist meine Fischjacke? Ich brauch’ die jetzt!“ wiederholt er unablässig und rastet schließlich komplett aus. Oder der Dreizehnjährige verschwindet ohne ein Wort und kehrt mit einem verletzten Lamm auf dem Arm zurück, wie es in einer symbolisch aufgeladenen Szene des Films zu sehen ist.

Natürlich häufen sich auch in der Schule die Probleme. Ständig wird Eva zur Rektorin bestellt, weil Felix sich Mitschülern gegenüber aggressiv verhalten hat. Die Alleinerziehende will das lange Zeit nicht wahrhaben. Schließlich willigt sie ein, daß ihrem Sohn mit Elena Winkler (Lena Urzendowsky) von der Arbeitsgruppe Autismus eine individuelle Betreuerin an die Seite gestellt wird, die auch im Klassenraum bei ihm bleibt. Daß mit ihm etwas nicht stimmt, ist dem Jungen durchaus klar. „Ich will niemandem mehr wehtun“, sagt Felix irgendwann auf die Frage, was er sich wünsche. Es klingt verzweifelt. 

Neben Eva und Elena wird auch der Fischhändler Pelle zu einer wichtigen Bezugsperson für Felix. Er paßt hin und wieder auf den Jungen auf, weil Eva neben ihrer Vollzeitbeschäftigung als Mutter auch noch einem Beruf nachgehen muß. Ihren Chef hat die Buchhalterin bereits ein ums andere Mal verärgert, weil sie wegen der Probleme mit Felix ihre Arbeitszeiten nicht einhalten konnte. Eines Tages schleicht sich Felix auf Pelles Fischlaster. Das hat dramatische Folgen. 

Regisseur Max Fey wandelt mit seinem berührenden Spielfilmdebüt auf den Pfaden des Sensationserfolgs „Systemsprenger“. Allerdings hat Fey „Zwischen uns“ düsterer und trübsinniger angelegt. Kammerspielatmosphäre und graue Herbst-und-Winter-Bilder vertiefen den Eindruck der großen Belastung, die Eva zu stemmen hat. Der Film „Systemsprenger“ wurde 2020 mit acht Lolas ausgezeichnet. Für Feys engagiertes Psychogramm ist es wegen der thematischen Nähe zu dem viel beachteten Film von Nora Fingscheidt extrem schwierig, sich aus dessen Schatten zu lösen. Dabei hätte das intensive Spiel von Liv Lisa Fries als junger Mutter zwischen Hoffnung und Ohnmacht ein großes Publikum verdient.

Kinostart ist am 16. Juni 2022