© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Eine grundsätzliche Kritik des digitalen Zentralbankgeldes
Nur Bargeld ist Freiheit
Thorsten Polleit

Im Zeitalter der Digitalisierung gerät das Bargeld unter Druck. Mit Blick auf „Industrie 4.0“ und „Smart Economy“ gibt es verstärkten Bedarf nach vollautomatischen, programmierbaren Zahlungsdiensten. Zu nennen sind hier zum Beispiel Anwendungen im Bereich des „Internet of Things“ (IoT), innovativer Geschäftsmodelle („Pay-per-Use“) oder Machine-to-Machine-Payments (M2M). Programmierbare Zahlungsdienste stellen Effizienzgewinne und neue Ge-schäftsmodelle und Märkte in Aussicht, und es wird daher nach einem passenden digitalen Geld gerufen.

Der größte Funktionsnutzen bei der Abwicklung programmierbarer Zahlungen wird derzeit tokenisiertem Geschäftsbankengeld, vor allem aber digitalem Zentralbankgeld beigemessen. Der Grund: Der Markt für Geld ist staatlich monopolisiert. Der Staat setzt ein Regelwerk, dem die Konkurrenz zum staatlichen Geld zu gehorchen hat und das bislang erfolgreich Innovationen fernhält.

Die staatlichen Zentralbanken haben es daher einfach, die neuen Transaktionserfordernisse eigenmächtig dahingehend zu interpretieren, daß vor allem die Ausgabe eines – und zwar ihres eigenen – digitalen Zentralbankgeldes wünschenswert und voranzutreiben sei.

Was ist digitales Zentralbankgeld? Im Kern handelt es sich um nichts anderes als ein Geldguthaben, das der Privatmann bei der Zentralbank unterhält. Bisher bekommen nur Ausgewählte Konten bei der Zentralbank: Geschäftsbanken, staatliche Stellen, manchmal auch Großunter-nehmen. Mit digitalem Zentralbankgeld öffnet sich die Zentralbank gewissermaßen für das Massengeschäft.

Das Adjektiv „digital“ klingt vermutlich für viele Ohren positiv, als Synonym für innovativ, zukunftsträchtig, modern. Anders ist die Zustimmung, die von vielen Seiten dem digitalen Zentralbankgeld entgegengebracht wird, wohl nicht zu erklären. Doch ein genauer Blick auf die Fol-gen, die mit der Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld verbunden sein werden, muß für Ernüchterung sorgen.

Man sollte nicht meinen, digitales Zentralbankgeld sei „besseres Geld“. Es ist vielmehr Fiat-Geld. Und die Probleme, für die das Fiat-Geld sorgt, werden daher nicht durch die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld gelöst – weil digitales Zentralbank- auch (ganz gewöhnliches) Fiat-Geld ist. Vielmehr bleiben die Fiat-Geldprobleme ungelöst, und zudem werden neue, gewichtige Probleme heraufbeschworen. Ich komme darauf später noch zu sprechen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, digitales Zentralbankgeld zu gestalten. Beispielsweise kann es in Form von Kontoguthaben (bei der Zentralbank oder bei Finanzintermediären) oder als Token (in „Wallets“) bereitgestellt werden; es kann mit oder ohne Zins versehen werden; Zahlungen können betragsmäßig begrenzt oder unbegrenzt sein; jeder kann Zugang zum digitalen Zentralbankgeld erhalten oder nur Ausgewählte; der Wechselkurs zwischen digitalem Zentralbankgeld und Bargeld und Geschäftsbankengeld kann auf 1:1 oder auch auf einen anderen politisch bestimmten Kurs festgesetzt werden.

Eine besonders wichtige Frage lautet an dieser Stelle: Wie kommen Sie und ich in den Besitz von digitalem Zentralbankgeld? Auf zwei Wegen.

Der erste Weg: Sie zahlen ihr Bargeld bei ihrer Bank ein. Das so erhaltene Giroguthaben tauschen sie 1:1 in digitales Zentralbankgeld.

Der zweite Weg: Die Zentralbank gibt zusätzliches digitales Zentralbankgeld aus. Beispielsweise verschuldet sich der Staat bei der Zentralbank und erhält digitales Zentralbankgeld, das er dann auf die Konten beziehungsweise in die Wallets der Geldverwender überweist.

Mit anderen Worten: Die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld erleichtert den Notenbanken die Ausgabe von „Helikoptergeld“. Helikoptergeld steht für die Idee, daß die Zentralbank die Geldmenge in der Volkswirtschaft direkt ausweitet – wie etwa durch Abwurf von Banknoten aus Hubschraubern.

Wenn es digitales Zentralbankgeld gibt, dann lassen sich nämlich die Konten der Menschen auf Knopfdruck durch die Ausgabe von digitalem Zentralbank-Helikoptergeld befüllen – und damit lassen sich auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Gesellschaft geradezu auf den Kopf stellen.

Warum? Im heute vorherrschenden Geldsystem gibt es (immer noch) einen Bezug zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers und Geldmengenausweitung: Nur wer ein rentables Investitionsobjekt hat oder wer Vermögen hat, bekommt Kredit und damit neues Geld. Ein solcher Bezug wird bei der Ausgabe von digitalem Zentralbank-„Helikoptergeld“ aufgehoben. Vielmehr sind hier (rein) politische Kriterien erforderlich, um die Zuteilung der neu erschaffenen Geldmenge zu bestimmen.

Man steht hier vor dem zentralen Problem des Sozialismus: Wer bekommt was wann und wieviel? Man kann sich das politische Gerangel vorstellen, das entsteht, wenn digitales Zentralbankgeld nach der Helikopter-Methode ausgegeben werden soll. Doch jede Regel ist hier willkürlich, einen „neutralen Verteilungsschlüssel“ gibt es nicht.

Mit der Ausgabe von Helikoptergeld begibt sich die Volkswirtschaft in den monetären Zuteilungsstaat, der die Einkommens- und Vermögensverteilung maßgeblich (mit-)bestimmt. Das ist anfänglich so etwas wie ein Semi-Sozialismus, aber die Volkswirtschaft wird unter diesen Bedingungen unaufhaltsam nach und nach sozialistisch.

Selbst wenn man sagt: „Na, so weit wird es wohl nicht kommen“, dann bleibt in jedem Falle doch noch zu befürchten, daß der direkte Zugriff der Zentralbank auf die Geldmenge, den das digitale Zentralbankgeld eröffnet, die Fehler- und Mißbrauchsmöglichkeiten der Geldpolitik gewaltig erhöht.

Beispielsweise könnten die Zentralbankräte in Krisenzeiten kopflos überreagieren und die digitale Zentralbankgeldmenge in kürzester Zeit gewaltig ausdehnen und damit ein großes Inflationsproblem erzeugen. Oder: Der Zentralbankrat nutzt den direkten Zugang zu den Konten der Bürger und Firmen und weitet die Geldmenge stark aus, um ganz gezielt eine Inflationspolitik in Gang zu setzen, die die Staatsschulden entwerten soll.

Ich persönlich zumindest sehe keine Möglichkeit, wirksame institutionelle Barrieren gegen derartig gesteigerte Fehler- und Mißbrauchsmöglichkeiten zu errichten, die mit dem digitalen Zentralbankgeld geschaffen werden.

Dieses digitale Zentralbankgeld konkurriert auch deswegen mit Bargeld, weil es ebenso ausfallsicher ist wie Münzen und Banknoten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß es bei nichtsahnenden Bürgern und Firmen breite Akzeptanz findet und das Bargeld verdrängt – im Zahlungsverkehr ebenso wie bei der Haltung von Vorsichtskasse.

Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: Wird das Bargeld verdrängt, aus dem Verkehr gezogen, ist das Geld der Menschen in den Bankbilanzen gefangen und der finanziellen Repression durch Negativzinsen schutzlos ausgeliefert.

Wie steht es um die finanzielle Privatsphäre der Geldverwender, wenn digitales Zentralbankgeld verwendet wird? Ein solches Geld, das anonyme Zahlungen zuläßt wie Bargeld, ist politisch nicht gewünscht. Wenn die Menschen ein Konto bei der Zentralbank halten, dann kann die Zentralbank einsehen, wer wann für was an wen bezahlt. Das ist mehr als bedenklich, denn dann ist die finanzielle Privatsphäre perdu. Bei einer Tokenisierung des digitalen Zentralbankgeldes fällt das Ergebnis nicht viel anders aus.

Hat das digitale Zentralbankgeld erst einmal eine hinreichend große Verbreitung erfahren, kann es für weitere politische Zwecke eingesetzt werden. China mit seinem Sozialkreditsystem zeigt, wie das geht. Das Verhalten der Bürger läßt sich in staatlich vorgegebene Bahnen lenken, indem der Zugang zu digitalem Zentralbankgeld an politisches Wohlverhalten geknüpft wird. Denkbar ist etwa, daß nur regierungstreue Bürger ein Konto für digitales Zentralbankgeld erhalten. Und nur jene Unternehmen erhalten es, die ihre Produktion auf CO2-mindernde Technologien umstellen oder bei ihrer Personalpolitik politisch vorgegebene Kriterien anwenden.

Mit digitalem Zentralbankgeld läßt sich Unliebsames bestrafen. Das Geld der Dissidenten läßt sich in promptu einfrieren, ohne daß Zentralbank und Regierung sich erst mit Geschäftsbanken herumschlagen müssen. Politische Gegner können so von der Regierung nicht nur zum Schweigen gebracht, sondern sprichwörtlich auch dem Hungertod preisgegeben werden.

Es sei an dieser Stelle hervorgehoben, daß auch Vorschläge vorgebracht wurden, durch die die Privatsphäre der Verwender von digitalem Zentralbankgeld erhalten werden soll. Jedoch kann und sollte man darauf vertrauen? Gründe für Skepsis bleiben. Vor allem weil die Erfahrung zeigt, daß der Staat sein Geldmonopol, wenn es für ihn vorteilhaft ist, für seine Zwecke einspannt, egal welche Spielregeln vorab vereinbart wurden.

Dazu ein Zitat von Friedrich August von Hayek: „Mit der einzigen Ausnahme der 200 Jahre der Goldwährung haben praktisch alle Staaten der Geschichte ihr Monopol der Geldausgabe dazu gebraucht, die Menschen zu betrügen und auszuplündern.“ Warum, so fragt man sich, sollte das anders sein mit digitalem Zentralbankgeld, wenn mit ihm das Ausplündern sogar noch einfacher wird? Doch es geht mittlerweile um mehr als Inflation.

Die Öffentlichkeit sollte sich nicht von den Verheißungen des digitalen Zentralbankgeldes blenden lassen. Es ist – wie konventionelle Dollar, Euro & Co. auch – Fiat-Geld, dem die bekannten ökonomischen und ethischen Defekte anhaften.

Digitales Zentralbankgeld wird die wenigen noch verbliebenen marktwirtschaftlichen Elemente des Kredit- und Geldsystems noch weiter zurückdrängen, lahmlegen, abschalten. Es spielt Staaten und den Sonderinteressengruppen, die ihn für ihre Zwecke einzuspannen suchen, in die Hände – zu Lasten der Freiheiten von Bürgern sowie kleineren und mittleren Unternehmen.

Das digitale Zentralbankgeld ist eine Art Trojanisches Pferd, das weitgespannte Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten erzeugt, die kollektivistisch-sozialistischer Eiferei in die Hände spielen – und damit eine Entwicklung begünstigt, die viele Menschen vermutlich gar nicht erkennen und sich vermutlich auch nicht wünschen.

Die kollektivistisch-sozialistische Eiferei unserer Zeit kommt vermutlich am prägnantesten in den Begriffen „Great Reset“ und „Große Transformation“ zum Ausdruck. Im Kern geht es bei diesen Ideen darum, daß die Menschen ihre Geschicke auf dem Planeten nicht in einem System der freien Märkte gestalten, sondern daß sie von zentraler Stelle bestimmt und gesteuert werden sollen.

Das ist eine sehr bedrohliche Idee, wie die Ökonomik zeigt. Denn sie kann erklären, daß kollektivistisch-sozialistische, ja schon interventionistische Vorhaben – und diesen Geist atmen der „Große Reset“ und die „Große Transformation“ – zum Scheitern verurteilt sind, daß sie den Menschen Armut, Elend, Konflikte und Gewalt bringen.

Die Beschäftigung mit dem Für und Wider des digitalen Zentralbankgeldes sollte letztlich jedoch nicht den Blick auf das eigentliche, das zentrale Problem verstellen: und das ist das Problem des staatlichen Geldmonopols, des Fiat-Geldsystems. Es gibt keine überzeugenden ökonomischen und ethischen Gründe, warum der Staat das Geld monopolisieren und Fiat-Geld – ob nun in Papierform oder in digitaler Form, ob in Form von Zentralbank-Fiatgeld oder Geschäftsbanken-Fiatgeld – ausgeben sollte.

Vielmehr gibt es überzeugende ökonomische und ethische Gründe für einen freien Markt für Geld, daß also die Menschen die Freiheit haben, das Geld wählen zu dürfen, das ihren Zwecken am besten entspricht; und daß jeder die Freiheit hat, sich darin zu versuchen, seinen Mitmenschen ein Gut anzubieten, das diese freiwillig als Geld zu verwenden wünschen.






Prof. Dr. Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist seit 2012 Chefvolkswirt der Degussa. Seit 2014 lehrt er als Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. Er ist Präsident des Ludwig-von-Mises-Instituts Deutschland.

Foto: Ebbe im Portemonnaie: Wird das Bargeld aus dem Verkehr gezogen, ist das Geld der Menschen in den Bankbilanzen gefangen und der finanziellen Repression durch Negativzinsen schutzlos ausgeliefert