© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Nixons Cannae
Am 17. Juni 1972 flog mit der Verhaftung eines Abhörteams die Watergate-Affäre auf
Thomas Schäfer

Richard Nixon, der seit dem 20. Januar 1969 als 37. Präsident der Vereinigten Staaten fungierte, trug nicht umsonst den Spitznamen „Tricky Dick“. So gründete der listenreiche Republikaner nach seinem Einzug ins Weiße Haus eine sogenannte „Klempner-Einheit“ unter der Leitung der ehemaligen FBI- beziehungsweise CIA-Agenten Gordon Liddy und Howard Hunt. Deren Aufgabe bestand zum einen darin, die zahlreichen „Lecks“ zu stopfen, aus denen permanent Interna aus dem Regierungsapparat an die vielfach nixonkritischen Medien durchsickerten, zum anderen sollte sie aber auch kompromittierende Informationen über politische Gegner sammeln und gezielt an die Presse weitergeben. Diese klandestine Truppe wiederum kooperierte eng mit dem Committee for the Re-Election of the President (CRP), welches – wie der Name schon sagt – Nixons Wiederwahl im November 1972 zu gewährleisten versuchte. Denn das CRP, dessen Sicherheitschef ein weiterer früherer CIA-Mann namens James McCord war, kämpfte ebenfalls mit harten Bandagen, weil Nixons Aussichten auf eine zweite Amtszeit als nicht sonderlich gut galten.

Gleichzeitig entwickelte die „Palastgarde“, also der engste Führungszirkel um den Präsidenten, welcher aus dem Justizminister John Mitchell, dem Stabschef des Weißen Hauses, Harry Robbins Haldeman, dem innenpolitischen Präsidentenberater John Ehrlichman, dem nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger und Nixons Chefberater Charles Colson bestand, eine Art Belagerungsmentalität. Dabei avancierte der Wahlkampfchef der Demokraten, Lawrence O’Brien, schließlich zum Hauptfeind, weil man fürchtete, daß dieser über brisantes Insiderwissen verfügte, mit dem er Nixon schaden könnte. Hieraus resultierte der wohl von Mitchell erteilte Auftrag an die „Klempner-Einheit“, am 27. Mai 1972 in den Watergate-Gebäudekomplex in Washington einzudringen, wo sich das Hauptquartier des Democratic National Committee befand, um dort heimlich Abhörwanzen zu installieren. Die funktionierten allerdings nicht so wie erhofft, weshalb Bernard Barker, Virgilio González, Eugenio Martínez, Frank Sturgis und McCord in der Nacht zum 17. Juni 1972 einen neuerlichen Einbruch unternahmen. Nun jedoch bemerkte der Wachmann Frank Wills zwei verdächtige Klebebänder, mit denen das Quintett die Tiefgaragentür offenzuhalten versuchte. Daraufhin verständigte er die Polizei, welche die „Klempner“ verhaftete, wodurch die Watergate-Affäre ihren Anfang nahm. Weil McCord dem CRP angehörte, brachte die Presse den Vorfall im Watergate-Komplex sofort mit der anstehenden Präsidentschaftswahl vom November in Verbindung, jedoch fehlte zunächst jeglicher Beweis, weswegen Nixon fast 61 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt und triumphal im Amt bestätigt wurde. 

Erst zwei Jahre später zwang der Skandal Nixon zum Rücktritt

Dann freilich veröffentlichten Robert Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post ab März 1973 mehrere Beiträge über die Hintergründe des Einbruchs im Watergate-Komplex, für den sich die fünf ertappten „Klempner“ seit Januar 1973 gemeinsam mit ihren Vorgesetzten Liddy und Hunt vor Gericht verantworten mußten. Diese Artikel basierten in wesentlichem Maße auf den Aussagen einer Quelle namens „Deep Throat“, wobei erst 33 Jahre später ans Licht kam, daß es sich dabei um den stellvertretenden FBI-Direktor Mark Felt gehandelt hatte, der sämtliche Ermittlungsergebnisse kannte. Parallel hierzu gestand McCord die Verwicklung des CRP in den Einbruch. Daraufhin räumten Haldeman und Ehrlichman am 30. April 1973 ihre Posten.

Im Folgemonat nahm das Senate Select Committee on Presidential Campaign Activities unter dem Vorsitz des demokratischen Senators Samuel Ervin die Arbeit auf. Die Anhörungen dieses Ausschusses führten zu einem gravierenden Ansehensverlust für Nixon, denn nun stellte sich immer drängender die Frage nach seiner persönlichen Verantwortung. Daß der US-Präsident in das Ganze involviert war, sollten vor allem die Tonbandmitschnitte der Gespräche im Oval Office des Weißen Hauses belegen, von deren Existenz die Ermittler am 16. Juli 1973 erfuhren. Deshalb versuchte Nixon die Freigabe der Bänder auch mit allen Mitteln zu verhindern – so zum Beispiel, indem er am 20. Oktober 1973 beim „Saturday Night Massacre“ sowohl den nunmehrigen Justizminister Elliot Richardson als auch dessen Stellvertreter William Ruckelshaus aus dem Amt drängte. Doch letztlich wurden die Aufnahmen als Beweismittel zugelassen.

Wenig später begannen die Ermittlungen zum Zwecke der Amtsenthebung des Präsidenten. Inzwischen stand zusätzlich noch der Vorwurf der Behinderung der Justiz im Raum. Und diese konnte „Tricky Dick“ dann auch Anfang August 1974 durch entsprechende Bandpassagen nachgewiesen werden. Daraufhin erklärte Nixon am 9. August 1974 seinen Rücktritt – ein bislang einmaliger Vorgang in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Die Enthüllungen von Woodward und Bernstein gelten heute als Sternstunde des Investigativjournalismus. Gleichzeitig förderten sie aber auch die Neigung der Presse, politische Vorgänge bis zum Exzeß zu skandalisieren. Das äußerte sich unter anderem in der seit September 1974 gängigen Praxis, alle möglichen Vorkommnisse mit der Endung „gate“ zu etikettieren – ganz gleich, wie banal diese im Vergleich zu der Staatsaffäre vor fünfzig Jahren daherkamen. 

Darüber hinaus blieben trotz aller Aufdeckungsbemühungen einige wichtige Fragen zur Watergate-Äffäre bis heute unbeantwortet: Sagte der Kronzeuge McCord, der erst mit der Justiz zu kooperieren begann, als ihm 30 Jahre Haft drohten, wirklich in sämtlichen Punkten die Wahrheit? Und was ist mit den Gerüchten über einen „Stillen Staatsstreich“ gegen Nixon durch Personen aus dem näheren Umfeld des Präsidenten? Inwiefern war „Tricky Dick“ in alle illegalen Details der „Klempner“ und des CRP eingeweiht? In seiner Autobiographie schrieb Nixon, daß es bei dem keinesfalls von ihm autorisierten „idiotischen“ und „sinnlosen“ Einbruch im Watergate-Komplex überhaupt nichts auszuspionieren gegeben habe, was nicht schon längst bekannt gewesen sei. Und das stimmt tatsächlich. Außerdem wurde Nixon weder des Amtes enthoben noch verurteilt, da das Impeachment-Verfahren letztlich mit seinem freiwilligen Rücktritt endete und der nächste Präsident Gerald Ford Nixon bereits am 8. September 1974 „a full, free, and absolute pardon“ für „alle Straftaten gegen die Vereinigten Staaten“ erteilte. Das wirft die Frage auf, warum Ford die weitere juristische Aufarbeitung des Watergate-Skandals derart schnell abwürgte.

Fotos: US-Präsident Richard Nixon verabschiedet im Juni 1973 zurückgetretene Mitglieder seiner „Palastgarde“: Noch war „Tricky Dick“ guten Mutes; Watergate-Strippenzieher John Ehrlichman und Harry Haldeman 1973: Etwas beim politischen Gegner auszuspioniert, was schon längst bekannt gewesen ist