© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Vom falschen Führer verführt
Katholizismus und Nationalsozialismus: Willi Eisele erinnert an die vielschichtige Vita des Abtes Alban Schachleiter
Konrad Löw

Das Bekenntnis irritiert: „Das soll die Welt hören & wissen: Meine Treue zu meinem Führer und seiner nationalsozialistischen Bewegung, aber auch meine Treue zur Hl. Kirche.“ Wer ist der Mann, der das äußerte und meinte, die ganze Welt müsse von ihm wissen? Ein hoher Diener der katholischen Kirche, ein resignierter Abt, dem der Diktator Adolf Hitler zweimal die Ehre eines Besuchs im weithin unbekannten Ort Feilnbach, nahe dem Wendelstein, erwies. Damals war er wohl jedem Zeitungsleser ein Begriff, doch schon kurz nach seinem Tode 1937 wurde es still um ihn. Warum? Jetzt hat ihn Willi Eisele auf ansprechende, exakt fundierte Weise aus der Versenkung hervorgeholt als lehrreiches Element der NS- wie der Kirchen-Geschichte mit ihren Kämpfen, Versuchungen und Verirrungen.

In den letzten Jahren der deutschen wie der österreichischen Monarchie stand Schachleiter an der Spitze einer großen Benediktinerabtei in Prag (Emaus). Unter seiner Verantwortung wurden die Habsburger nach Kräften unterstützt. Da er dieser Ausrichtung treu blieb, herrschte – nach der Niederlage der Mittelmächte und der Gründung der  Tschechoslowakei 1918 – im Kloster, aber auch in der dortigen Öffentlichkeit ein Klima, das seine Resignation und letztlich seinen Ortswechsel nach Deutschland veranlaßte. 

Hier war seine stark deutschnationale Ausrichtung in gleichgesinnten Kreisen kein Geheimnis, so daß es zu Begegnungen mit Hitler kam. Der witterte eine Chance, den Mönch gegen die Front der „politisierenden Pfaffen“ einzusetzen. Auch in den kirchlichen Kreisen war der Ex-Abt kein Unbekannter. Aber ein Bleiberecht konnte man ihm in den hiesigen Ordensniederlassungen nicht absprechen – unter der Bedingung, daß er sich politischer Äußerungen enthielte.  Doch er verstand es, sich mit Hilfe seiner neuen Freunde dieser Fessel zu entledigen, indem er sich ein eigenes Heim erbaute, wo ihn, wie erwähnt, Hitler besuchte. Vorher hatte er zweimal im schwarzen Ornat am Parteitag der Braunen in Nürnberg teilgenommen (ohne Mitglied der NSDAP zu sein).

Die letzte Chance, mit dem „geistlichen Kronzeugen“ zu punkten, bot die Beerdigung des „deutschen Abts“ am 22. Juni 1937 auf dem Münchner Waldfriedhof. Der lange Trauerkondukt wurde von Verehrern und wohl auch von Schaulustigen gesäumt. Da der Rezensent in der Nähe wohnte, ließ sich seine Mutter das Spektakel, Königskutsche mit sechs Pferden bespannt, nicht entgehen. Als aufgefordert wurde, dem Verstorbenen mit dem „deutschen Gruß“ die letzte Ehre zu erweisen, nahm sie den Autor dieser Zeilen als Fünfjährigen (!) auf die Arme, und so war sie „entschuldigt“.

Warum der zuständige Bischof, Michael von Faulhaber, und die Benediktiner-Abteien das Hinscheiden nicht bedauerten, liegt auf der Hand, wenn man sich die Unbotmäßigkeit vergegenwärtigt, die ihren Ausdruck unter anderem in Flugblättern fand, die so oder sinngemäß lauteten: „Hitler allein ist für den katholischen Nationalsozialisten maßgebend … An meine Kirchentreue, an meine Rechtgläubigkeit lasse ich nicht rühren.“ Darunter der Ort, das Datum und „Abt Albanus …O.S.B.“

Damit wird die Frage um so drängender, warum ihm „seine“ Partei kein ehrendes Gedenken bewahrt hat. Wovon konnte er leben und sich sogar ein stattliches Haus bauen? Als Mönch hatte er doch das Gelübde der Armut abgelegt. Reichten die Zuwendungen von Freunden, Hitlers monatliche 200 Reichsmark? Zum Leben schon, aber nicht zum Hausbau. Das ermöglichte ihm eine Hypothek in Höhe von 15.000 Reichmark von Leopold Sachs, Kommerzienrat in Prag, ein Tscheche und Jude. Zu dieser Entdeckung äußerte sich der Chef der Reichskanzlei, Reichsminister Lammers: „Diese Hypothek ist völlig untragbar.“ – Wenn das publik geworden wäre! Sachs kassierte, was ihm zustand, und verließ rasch Deutschland, um auf Umwegen in England eine neue Heimat zu finden. Auch er hatte guten Grund darüber zu schweigen, wem er die Niederlassung ermöglicht hatte, dem „treuesten Gefolgsmann unseres Führers“, wie der Ex-Abt sich selbst einschätzte.

Willi Eisele: Zwischen Ordensregel und politischer Gefolgschaft. Abt Alban Schachleiter OSB (1861–1937). Lit-Verlag, Berlin 2021, broschiert, 300 Seiten, 29,90 Euro