© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Nur noch 13 Jahre Galgenfrist?
EU-Parlament beschließt das Aus für Pkws und Transporter mit Benzin- und Dieselmotor
Paul Leonhard

Neun Länder waren 2020 für zwei Drittel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich: China, die USA, Indien, Rußland, Japan, der Iran, Südkorea und Indonesien. Die 27 EU-Staaten kamen – für Industrie, Kraftwerke, Heizung/Warmwasser, Verkehr und Landwirtschaft – zusammen auf lediglich 7,3 Prozent. Die 252 Millionen Pkws in der EU, die mit Benzin- oder Dieselmotoren angetrieben waren, verursachten lediglich 0,73 Prozent der globalen CO2-Emissionen – das war nur ein Drittel von dem, was beispielsweise der Schiffsverkehr weltweit verursachte. Zwei Drittel der Kohlekraftwerke – 1.621 Anlagen – standen 2020 in nur drei Ländern: China, Indien und den USA.

Dennoch hat das EU-Parlament vorige Woche mit 339 gegen 249 Stimmen bei 24 Enthaltungen erneut ein radikales Verbot beschlossen, das tief in den Alltag und die Lebensgewohnheiten der 448 Millionen EU-Einwohner eingreifen wird: Neuwagen dürfen ab 2035 kein CO2 mehr ausstoßen, was einem Verbot des Verbrennungsmotors gleichkommt. Betroffen sind auch Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Pkws, die 40 bis 80 Kilometer rein elektrisch fahren können, sowie Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen.

Zudem will die EU auch den durchschnittlichen Flottengrenzwert der Autohersteller bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 2021 drücken. Er läge dann nicht mehr bei 95, sondern bei 43 Gramm CO2 je Kilometer. Ein Phantasiewert von unter zwei Liter Benzin pro 100 Kilometer, den reine Benziner und Diesel sowie selbst sparsame Vollhybride von Toyota praktisch nicht erreichen können. Sprich: Die Autokäufer sollen also schon in acht Jahren zum Kauf teurer E-Mobile und Plug-in-Hybride gezwungen werden. Mit dieser Entscheidung „gefährdet das EU-Parlament auf verantwortungslose Weise langfristig den sozialen Frieden innerhalb der europäischen Staaten“, kritisierte Lutz Leif Linden, Generalsekretär des Automobilclubs von Deutschland (AvD), das drohende Verbrennerverbot. Individuelle Mobilität werde so teuer werden, daß sie nur noch für Besserverdiener und politische Mandatsträger erschwinglich sei: „Spätestens wenn die staatlichen Förderprogramme enden, werden sich auch Haushalte mit mittleren Einkommen zunehmend kein Auto mehr leisten können“, prognostizierte Linden.

Mercedes und Ford ging der Beschluß sogar nicht weit genug

Der größere ADAC, der inzwischen auch Lastenräder testet und E-Scooter propagiert, gab sich handzahmer: „Allein mit der Elektromobilität werden sich im Verkehr die ambitionierten Klimaschutzziele nicht erreichen lassen“, sagte ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze der der Funke-Mediengruppe. Die Bundesregierung solle sich auf EU-Ebene nun wenigstens für den „klimaneutral betankten Verbrennungsmotor“ einsetzen – sprich für „E-Fuels“, also synthetisch hergestellte „CO2-neutrale“ Kraftstoffe, die mit viel Strom aus Wasser und CO2 eine Art „Biobenzin“ darstellen. Porsche investiert dafür schon in eine Produktionsanlage in Chile. Auch BMW-Chef Oliver Zipse setzt – trotz heftiger Kritik „grüner“ Aktionäre – weiter gleichzeitig auf Verbrenner und E-Autos.

Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) argumentiert mit dem vorhandenen Fahrzeugbestand von deutschlandweit rund 46 Millionen Pkw – und weltweit gar 1,5 Milliarden Autos: Wer schnelle Erfolge bei der CO2-Reduktion im Verkehrssektor wolle, müsse praktikable Lösungen anbieten. Das könnten nur E-Fuels oder Biokraftstoffe sein, erläuterte ZDK-Präsident Jürgen Karpinski. So könnten alle Fahrzeuge klimaneutral gefahren werden. Überdies sei die dafür erforderliche Tankstellen-Infrastruktur vorhanden. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hält das für illusorisch: Auf absehbare Zeit werde es nicht genug synthetische Kraftstoffe geben. Und die vorhandenen seien für den Flugverkehr reserviert.

Hartmut Raue vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), in dem viele Autozulieferer organisiert sind, gibt zu bedenken: „Rußland und China dominieren die Versorgung der globalen Fahrzeugindustrie mit knappen Schlüsselrohstoffen für die Elektromobilität wie Nickel, Kobalt oder Magnesium“, warnte der Vize-Hauptgeschäftsführer. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht in dem EU-Verbot eine Entscheidung „gegen die Bürger, gegen den Markt, gegen Innovationen und gegen moderne Technologien“, die zu früh getroffen worden sei, weil es noch keine ausreichende Ladeinfrastruktur für E-Autos gebe. Oder im Klartext: Der Steuerzahler solle hierbei helfen.

Mercedes und Ford gerieren sich sogar als Vorreiter: Sie forderten bereits auf der Weltklimakonferenz 2021 einen Verkaufsstopp für Verbrenner ab 2035. Die EU soll dabei für die meisten Hersteller offenbar Testmarkt werden: Alle neuen Mercedes-Modelle ab 2025 sollen ausschließlich elektrisch angetrieben werden. Audi plant das für 2026, Opel ab 2028 und Ford sowie Volvo ab 2030. Eckart von Klaeden (CDU), Leiter des Bereichs Außenbeziehungen bei VW, hält das Verbrenner-Verbot für „ambitioniert“, aber erreichbar: Die Wende zur E-Mobilität sei unumkehrbar und die ökologisch, technologisch und wirtschaftlich allein sinnvolle Möglichkeit.

Der einzige Unterschied zu „Fridays for Future“, Greenpeace oder dem Abmahnverein Deutsche Umwelthilfe ist praktisch nur noch der Zeitrahmen des Benzin- und Dieselmotorverbots. Die Grünen schwärmen von einem Deutschland, das „zum Leitmarkt für E-Mobilität mit 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030“ wird, so Grünen-Chefin Ricarda Lang. Die Unionsparteien setzen nur noch auf Verzögerung: „Ein frühzeitiges Aus für Verbrennermotoren könnte negative Entwicklungen für die soziale Balance in der Gesellschaft forcieren“, warnte Manfred Weber (CSU). „Damit würden zudem unnötigerweise fortschrittliche Transformationstechnologien aus Europa zerstört, in die bereits viel Geld investiert wurde“, so der Fraktionschef der EVP im EU-Parlament. China aber werde verzückt sein, „wenn es eine weitere europäische Spitzentechnologie auf dem Silbertablett serviert bekommt“.

Der Verbrennungsmotor wird außerhalb der EU weiterleben

Dirk Spaniel, der bis 2017 Ingenieur bei Daimler war, formuliert das deutlicher „Für die deutschen Autohersteller fällt damit nicht nur ein wichtiger Markt weg. Der Verbrennungsmotor wird in allen Ländern außerhalb der EU nach wie vor der hauptsächliche Fahrzeugantrieb bleiben“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag. Das absehbare Aus für diesen Industriezweig mit allen vor- und nachgelagerten Produktions- und Zulieferzweigen zerstöre „das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und damit des deutschen Wohlstands“. Auch Bosch und die IG Metall verlangen, das Verbot von neuen Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 zu kippen.

Dabei auf die Bundesregierung zu hoffen, die das Ausstiegsdatum 2035 gegenüber der EU im März bestätigt hatte, ist wohl vergeblich. Bis Ende Juni sollen sich die 27 EU-Mitgliedstaaten zum Verbrennerverbot erklären – Widerstand dürfte aber einzig aus Osteuropa kommen. Vorerst gescheitert ist im EU-Parlament dagegen die Reform des CO2-Emissionshandels und damit eine weitere Grundlage des Klimaschutzpakets „Fit for 55“. Und der Carbon Border Adjustment Mechanism, eine Art Klimazoll, dürfte künftige Handelskonflikte mit China, Indien, den USA oder der Türkei provozieren.

Informationen des EU-Parlaments: europarl.europa.eu