© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Der Flaneur
Alte schöne Bückware
Paul Leonhard

Der Einkauf in den Discountern ist anders geworden. Überall. In kleineren Städten wie in den großen Metropolen. Die Kunden drehen irgendwie zweifelnd ihre Runden. Nicht, weil die Marktleitungen wieder einmal alles umgeräumt haben, um so die Verweildauer potentieller Käufer zu erhöhen und sie auf neue Produkte hinzuweisen, sondern weil die Regale seltsam leer sind. Ist die vordere Kiste leer, gibt es oftmals kein Dahinter mehr. Wer zu spät kommt, guckt in die Röhre.

Einige Kunden schleichen um die ausgepreisten Waren wie die Katze um den heißen Brei. Kopfschüttelnd schauen sie auf die ausgezeichneten Preise. Sie fragen sich, was auch ich mich frage: Die wievielte Erhöhung ist das in diesem Jahr? Welche satten Gewinne werden die Besitzer am Ende des Jahres leise verkünden?

Es ist tatsächlich der letzte gewesen. Lediglich drei Becher mit Milchreis sind noch zu haben.

„Das war der letzte“, höre ich leise einen Mann sagen, als ich den Erdbeer-Joghurt aus dem obersten Fach angle und betrachte. Der Mann sagt es nicht zu mir, sondern zu sich selbst. Und es klingt resignierend. Automatisch lege ich den Becher schnell in meinen Wagen und schaue noch einmal nach oben. Es ist tatsächlich der letzte gewesen. Lediglich drei Becher mit Milchreis sind noch zu haben.

Ich überlege, ob ich dem Mann den Joghurt großzügig überreichen soll, schließlich war ich gar nicht sicher gewesen, ob ich ihn wirklich nehmen sollte. Ich könnte ihm sogar eine Brücke bauen, indem ich sagte, bitte schön, ist mir zu teuer. Wäre der Mann eine hübsche Frau gewesen, wie die jetzt hinter mir in der Schlange an der einzig besetzten Kasse steht, hätte ich das vielleicht getan.

Mit der diskutiert gerade eine Rentnerin. „Sie hatten sich umgedreht, da dachte ich, Sie stehen noch nicht an“, sagt diese zu der wohl 1,90 Meter großen, schlanken Schwarzen. „Kein Problem, ist gut“, sagt diese, und ihr Lächeln zeigt blendend weiße Zähne. Aber die alte Dame wiederholt ihren Satz noch zweimal.

Im Parkhaus suche ich den Autoschlüssel und höre, wie eine Frau der anderen zuraunt: „Ich habe Bückware bekommen.“ Neugierig schaue ich hin. Es handelt sich um Senf. Triumphierend werden gleich zwei Becher hochgehalten. Als ich dann neben meinem VW noch einen Trabant wahrnehme.