© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Nach dem AfD-Parteitag
Führung vorgeführt
Dieter Stein

Einerseits wurde schon oft behauptet, die AfD stünde am Abgrund – und es ging danach doch irgendwie weiter. Andererseits ist die Partei unbestritten in einer schweren Krise und muß eine Trendwende hinlegen, will sie einen systematischen Niedergang abwenden.

Der Bundesparteitag am vergangenen Wochenende in Riesa schien schon mal für Klarheit in der Führung zu sorgen. Amtsinhaber Tino Chrupalla installierte weitgehend seinen Wunschvorstand. Gemeinsam mit Alice Weidel steht er nun Bundestagsfraktion und Partei vor. Andererseits bleibt es bei der Doppelspitze – Keim für neue Dauerkonflikte und unklare Verantwortung, so sehr das Duo Harmonie demonstriert.

Die AfD trägt den Begriff „Alternative“ nicht umsonst im Namen, weil sie in etlichen für die Bürger zentralen politischen Fragen echte Gegenpositionen bieten kann. Mit ihrer in Riesa getroffenen Entschließung zum Weiterbetrieb und Neubau von Kernkraftwerken könnte sie in der dramatischen Energiekrise einen starken Wendeimpuls geben, der auf breite Zustimmung in der Bevölkerung treffen dürfte.

Marine Le Pen demonstriert, wie man eine modernisierte Partei zum größten Erfolg ihrer Geschichte führt.

In Kombination mit diesem Gegenentwurf zur gescheiterten Energiewende hätte das die AfD-Kompetenz ausmachende Gründungsthema der Euro- und Finanzpolitik angesichts explodierender Inflation in den Mittelpunkt gerückt werden können.

Stattdessen versank der Parteitag am dritten Tag im Chaos. Obwohl es auch der Letzte begriffen haben müßte, daß die offensive juristische und politische Abwehr der Verfassungsschutzbeobachtung die Überlebensfrage der Partei ist, attackierte der Thüringer Landeschef Björn Höcke mit einer Abstimmung die Unvereinbarkeitsliste zu rechtsradikalen Organisationen. Statt den frischgewählten Vorstand zu stützen, der ausdrücklich vor einem damit verbundenen „Selbstmord“ warnte, intervenierte Höcke und gewann das Votum knapp. Vollendeter konnte man eine neue Führung in aller Öffentlichkeit kaum vorführen.

Ähnlich das Bild bei einer schlecht vorbereiteten Resolution zur Europa-Politik, mit der sich die AfD sowohl innenpolitisch als auch im Kreise der Familie europäischer Rechtsparteien weiter isoliert hätte. Hier verhinderte der Vorstand durch Abbruch des Parteitages gerade noch eine Blamage.

Ein Blick nach Frankreich zeigt, wie Marine Le Pen ihre modernisierte Partei zum größten Erfolg ihrer Geschichte führt. Sie erreichte große Zugewinne nicht zuletzt dank einer regelrechten Charmeoffensive und der scharfen Disziplinierung radikal-destruktiver Kräfte. Unter den Bedingungen des deutschen Parteienrechts ist letzteres äußerst schwer. Um so mehr ist kluge Führung und eine klare Strategie nötig, wenn der AfD noch ein Neustart gelingen soll.