© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Riesaer Zündwaren
Bundesparteitag: Mit neuem Vorstand den alten Zwist hinter sich lassen – die AfD beschwört die künftige Harmonie und zofft sich dann doch wieder wie die Kesselflicker
Christian Vollradt

Ein Neustart, ein Aufbruch sollte von diesem Treffen in der „Stahl- und Sportstadt Riesa“ ausgehen. Vorbei die Zeit der Spaltung, in der man sich mehr mit sich selbst als mit dem politischen Gegner auseinandersetzte. Das waren die hehren Ziele, die Schwüre beim AfD-Bundesparteitag am vergangenen Wochenende. Die Realität fiel durchwachsener aus. 

Gewiß, Tino Chrupalla wurde erwartungsgemäß wiedergewählt, wenn auch mit dem schlechtesten Ergebnis (53 Prozent) aller bisheriger Parteichefs. Der allenfalls mit Außenseiterchancen gestartete Gegenkandidat Norbert Kleinwächter erzielte immerhin 36 Prozent. Das lag zum größten Teil sicherlich an der Rede des Herausforderers, die die Delegierten mitriß. 

Chrupalla mußte sich manche Kritik gefallen lassen. Mitgliederverluste, schwache Wahlergebnisse und das Gefühl, mit den eigenen Themen nicht durchdringen zu können; dazu die Ablehnung, die der Partei entgegenschlägt, die Isolation, in die sie geraten ist. Das sind die wesentlichen Gründe dafür, daß in der AfD viel Frust herrscht.

„Die Macht, uns das Lebenslicht auszupusten“

Beim Fast-Durchmarsch seines „Team Zukunft“ (JF 25/22) profitierte der Wiedergewählte aus Sachsen dann aber nicht nur von seiner im voraus durchorchestrierten Listenaufstellung, sondern vor allem von der Schwäche seiner innerparteilichen Gegner. Das liberal-konservative Lager gab ein ziemlich trauriges Bild ab: unorganisiert, frustriert, resigniert. Mal wurden Kandidaten auf aussichtslosen Posten verheizt, mal boten sie eine schwache Vorstellung – mal trat gar niemand mehr an. Sogar im Bundesschiedsgericht dominieren nun „Hardliner“.

Bezeichnend und irgendwie typisch AfD war später die Wahl von Christina Baum in den Bundesvorstand. Sogar Protagonisten des früheren Flügels halten die Höcke-Gefolgsfrau und Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg für zu radikal, vor allem für zu schrill. „Persönlich ist sie ein herzensguter Mensch, aber politisch dreht sie völlig frei“, meint einer über sie, der nicht im Verdacht steht, zu den Liberalen in der Partei zu gehören. In der Bundestagsfraktion ist es ein offenes Geheimnis, daß Baum von der Führung an der kurzen Leine geführt werden muß. Auf die Rednerliste für das Plenum setzte man sie nur, wenn es sich partout nicht vermeiden ließ. 

Ihr neues Amt als Beisitzerin verdankt Baum einem faktischen, wenn auch nicht ausdrücklich geschlossenen Bündnis der äußersten Pole der AfD. Daß sie mit 56 Prozent über Chrupallas Favoriten Jörn König (40 Prozent) triumphieren konnte, lag nicht nur an der Unterstützung ihrer eigenen, treuen Fans, sondern auch an Stimmen aus dem liberalkonservativen Lager. Dort hatten einige aus einer gewissen „Ätsch“-Haltung heraus bewußt für die Flügel-Ultra votiert – in der Absicht, dem neuen, auf Homogenität abzielenden Vorstand ein Ei ins Nest zu legen. Vor allem zielte das auf Alice Weidel, die als Landesvorsitzende in Baden-Württemberg einschlägige Erfahrungen mit Baum gemacht hatte. 

Dieses Vorgehen stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung. Es sei äußerst destruktiv, monierten Kritiker. Parteichef Chrupalla wiederum wurde auf diese Weise von der Gefolgschaft Björn Höckes bedeutet, daß ihre Loyalität den eigenen Leuten gehört und nicht irgendwelchen Absprachen. Das war schon beim Posten des Stellvertretenden Schatzmeisters erkennbar, als Wunschkandidat Sebastian Maack aus Berlin durchfiel. Bündnisse sind in der AfD stets fragil und zeitlich begrenzt. 

Allen Beschwörungen zum Neuanfang zum Trotz war einen Tag nach der Wahl auch ein sehr alter Konflikt in der AfD wieder präsent: Wie weit rechts will man stehen, wo sollen die Grenzen gezogen werden? In der Frage, ob ein Mini-Verein mit Rechtsextremisten im Vorstand von der Unvereinbarkeitsliste gestrichen werden soll, war es mit der Einigkeit – auch im Vorstand – nicht mehr weit her. Typisch AfD fiel die Entscheidung 60 zu 40 – für die Streichung. Und das, obwohl zwei Vorstandsmitglieder dringend davor gewarnt hatten. Roman Reusch, im neuen Vorstand für die Befassung mit dem Thema Verfassungsschutz zuständig, sprach vom bevorstehenden „Harakiri“. Der frühere Staatsanwalt, bis vor kurzem noch Mitglied im Parlamentarischen Kontollgremium für die Geheimdienste, hatte schon zuvor gewarnt, das Vorgehen des Inlandsnachrichtendiensts auf die leichte Schulter zu nehmen. Im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT ergänzte er seine Mahnung. Wie bei den Republikanern damals gebe es die einen, für die eine Verfassungsschutz-Beobachtung wie ein Orden, ein Ritterschlag gesehen wird; und diejenigen, die sehen, daß der Verfassungsschutz die Machtmittel hat, „uns das Lebenslicht auszupusten“. Eine Mehrheit sah das anders und folgte dem Plädoyer Björn Höckes, sich vom „sogenannten Verfassungsschutz“ nichts vorschreiben zu lassen.  

Am Ende ging dann zwölf Stunden nach den Aufrufen zur Harmonie in Blau alles wieder im Zoff unter. Die einen wollten auf Teufel komm raus, notfalls mit einer hauchdünnen Mehrheit die wegen einzelner Formulierungen – „Ukraine-Konflikt“ statt -Krieg – sowie sehr weit gehender Forderungen – etwa nach der „einvernehmlichen Auflösung der EU“ – intern umstrittene Europa-Resolution durchdrücken. Die anderen, so jedenfalls wird es ihnen vorgehalten, versuchten mit Änderung- und Geschäftsordnungsanträgen das Ganze in die Länge zu ziehen.

Es wäre bei früheren Parteitagen der Moment gewesen, an dem der Grandseigneur der Partei, Alexander Gauland mit einem historischen Vergleich versucht hätte, das aufgeregte Plenum zur Räson zu bringen, „Bismarck hätte in dieser Situation …“ oder so ähnlich. Doch der blieb auffallend still auf dem Parteitag, manchmal schien er auf dem Vorstandspodium zusammengesunken zu sein. Als die Landesvorsitzenden auf der Bühne mit Chrupalla beratschlagten, wie man gemeinsam die Kuh vom Eis holen könne, da holte man Gauland schließlich dazu – ohne daß er das Wort an die Delegierten richtete. Das habe doch alles keinen Sinn mehr, wollen Anwesende aus seinem Mund gehört haben. War das Ausdruck der Resignation? Oder wollte der Ehrenvorsitzende, daß die Resolution, unter der auch sein Name stand, endlich beschlossen wird?

Wie geht es weiter? In den Reihen der Liberal-konservativen ist Wundenlecken angesagt. Sollen die Neuen doch mal zeigen, was sie können und für Mitgliederzuwachs und Wahlsiege sorgen, sagen die einen. Und mahnen, jetzt bloß nicht auszutreten. Gerüchteweise haben das schon einige Mitglieder unter dem Eindruck der Bilder aus Riesa getan; nachprüfbar ist das kaum.

Es sei notwendig, sich zu sammeln und den Gegenschlag vorzubereiten, meinen andere. Dazu bedürfe es vor allem einer besseren Koordination. Für das klägliche Scheitern der „Palastrevolution“ machen nun viele die Köpfe und Strippenzieher der Fronde gegen Chrupalla verantwortlich. Es reiche eben nicht, in Presserunden den Amtsinhaber öffentlichkeitswirksam zu attackieren; das ersetze nicht, die notwendigen Mehrheiten auf einem Parteitag zu organisieren.

Thüringens Landeschef Björn Höcke wiederum wird allgemein als großer Sieger des Parteitags gesehen, der seine Macht unter Beweis stellen konnte. Chrupalla und sein neuer Bundesvorstand, so die verbreitete Lesart, seien auf Gedeih und Verderb vom ehemaligen Flügel abhängig. Das kann jedoch auch umgekehrt bedeuten, daß sich der Parteichef nun nach den Erfahrungen des vergangenen Wochenendes nach neuen Verbündeten umsieht. Manche in der Partei unken schon, es könne sich die Geschichte wiederholen: Schließlich räumten sowohl Frauke Petry als auch Jörg Meuthen ihren jeweiligen Rivalen mit Höckes Hilfe ab, bevor sie sich dann gegen diesen wandten. 

Erste Nagelprobe ist die Wahl in Niedersachsen

Allerdings sind auch auf dem rechten Parteiflügel nicht alle zufrieden mit dem Verlauf der Riesaer Veranstaltung. Die Versammlungsleiter hätten die mittels Änderungsanträgen erfolgreiche Verzögerungstaktik nicht unterbunden. Mit dem Abbruch des Parteitags verhindert wurde zudem eine Befassung mit der geplanten Strukturreform-Kommission. Sie war angeblich der Köder, mit dem Chrupallas Leute eine Kandidatur Höckes (die der wiederum seinen Leuten diesmal in Aussicht gestellt hatte) für den Vorstand zu verhindern. Diese Kommission soll den Vorstand beraten, faktisch eher überwachen (JF 25/22). Laut Antrag sollte der Bundesvorstand den Vorsitzenden dieser Kommission ernennen, der wiederum könnte sich alle weiteren Mitglieder allein aussuchen. Höcke, der auf den Vorsitz abzielte, hätte dann Carte blanche. Genau das wollen seine innerparteilichen Gegner partout verhindern.   

Die erste Nagelprobe für die Arbeit des neuen Vorstands findet indes am 9. Oktober statt, wenn in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt wird. Im lange tief zerstrittenen Landesverband dort hat sich die Lage gerade beruhigt, ist ein neuer Vorstand mit dem jungen Bundestagsabgeordneten und Landwirt Frank Rinck an der Spitze im Amt. Gelungen ist das auch durch Verhandlungen zwischen den verschiedenen Lagern, die sich auf einen personellen Kompromiß einigen konnten. 

Nun wird viel davon abhängen, wieviel materielle wie ideelle Unterstützung die zwischen Harz und Nordsee nicht gerade blühende AfD von ihrer Bundesspitze erhält. Daß der einzige Niedersachse in Chrupallas „Team Zukunft“, Jörn König, an der Wahl in den Bundesvorstand scheiterte, ist dafür nicht gerade das ermunterndste Signal.

 Der Verlauf des Parteitags ist nachzulesen unter www.jungefreiheit.de

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Foto: Parteichef Chrupalla (am Mikrofon) mit mehreren Landes- und dem Ehrenvorsitzenden Gauland: Mit vereinten Kräften Europa-Antrag vertagt