© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wenn möglich, bitte wenden
Paul Rosen

In Berlin gibt es ein besonderes Taxiunternehmen. Die Fahrzeugflotte besteht aus Limousinen der oberen Mittelklasse oder sogar der Oberklasse fast ausschließlich deutscher Hersteller. Die Autos sind innen und außen blitzsauber, und es gibt noch eine Besonderheit: Bei Ankunft am Ziel muß nicht bezahlt werden. Die Rechnung übernimmt der Steuerzahler. Die dürfen allerdings  dieses besondere Taxiunternehmen nicht benutzen. Es ist nämlich den Bundestagsabgeordneten vorbehalten, die den angenehmen Service rund um die Uhr nutzen können. 

270 Fahrer kümmern sich darum, daß Abgeordnete rund um die Uhr in Berlin zu jedem gewünschten Ziel gebracht, wieder abgeholt und entweder zum Bundestag oder zu ihrer Wohnung chauffiert werden. Die Fahrbereitschaft des Bundestages gab es bereits in Bonn und zeichnete sich seinerzeit durch eine Besonderheit aus: Es fuhren fast ausschließlich Männer. Angeblich hatte es früher den einen oder anderen Vorfall gegeben, der für die Fahrerinnen – zurückhaltend formuliert – sehr unangenehm gewesen sein soll. In Berlin ist aber alles anders geworden, und inzwischen sind Fahrerinnen bei der Fahrbereitschaft keine Ausnahme mehr. 

Auch etwas anderes änderte sich mit dem Umzug nach Berlin. Es war die Zeit, als die Privatisierung öffentlicher Aufgaben angesagt war, und so wurde die Fahrbereitschaft von einem privaten Limousinenservice übernommen. Doch als die miserablen Arbeitsbedingungen der Privatfirma bekannt wurden, verlangten Abgeordnete Änderungen (JF 28/16). Die Bundestagsverwaltung gab dem Druck nach und übertrug den Fahrdienst ohne Ausschreibung an den BwFuhrparkService. Der entstand auf Initiative des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping (SPD), der die zivile Fahrzeugflotte der Bundeswehr durch Privatisierung modernisieren wollte. Den Auftrag von Scharping zur Übernahme der Bundeswehrfahrzeuge erhielt mit dem Deutsche Bahn Fuhrpark-Service allerdings ein hundertprozentiges Staatsunternehmen, das die Bundeswehrfahrzeuge in einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem Verteidigungsunternehmen unterbrachte.

Dieser BwFuhrparkService übernahm auch den Bundestags-Fahrdienst. Obwohl das Unternehmen faktisch staatlich ist, verhielt es sich gegenüber den Chauffeuren wie der private Vorgängerbetrieb. Die Fahrer klagten über schlechte Löhne und miserable Arbeitsbedingungen. Es kam zu Warnstreiks, so daß die Abgeordneten Berliner Taxis kennenlernen konnten. Offenbar waren die Erfahrungen so eindrucksvoll, daß es jetzt zum Abschluß eines Tarifvertrages für die Chauffeure kam, der sich am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes anlehnt. Kernpunkte sind eine Verringerung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 39 Stunden. Außerdem werden die Gehälter um 5,5 Prozent erhöht.  

Mit dem Tarifvertrag ist man jetzt da wieder angekommen, wo man vor der Privatisierung schon war. Die kleine Fuhrparkgeschichte darf als Beweis dafür gelten, daß sich in der Politik vieles nur im Kreise dreht.