© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Lieber unter sich bleiben
Jugendstudie des Moscheeverbands Ditib: Wie ticken junge Muslime in Deutschland?
Björn Harms

Wie ticken eigentlich junge Muslime in Deutschland? Fühlen Sie sich hierzulande integriert? Wollen sie sich überhaupt integrieren? Eine Anfang Juni veröffentlichte Jugendstudie gibt interessante Aufschlüsse über diese Alltagsfragen. Verantwortlich für die Erhebung war der Erziehungswissenschaftler Harry Harun Behr, ein deutscher Konvertit und Professor an der Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er führte die Studie gemeinsam mit seiner Forschungskollegin Meltem Kulaçatan im Auftrag des türkisch-geprägten Moscheeverbands Ditib durch. 

Die Befragung fand dabei im Frühsommer 2021 über ein Online-Portal statt. Der entsprechende Link wurde über die Mailinglisten des Bundes der Muslimischen Jugend (BDMJ) verteilt, der Jugendorganisation von Ditib. Es sollten sich möglichst junge Menschen melden, „die von seiten des BDMJ als ‘unsere Leute’ bezeichnet werden“, schreiben die Studienautoren. Der 2014 gegründete BDMJ ist bundesweit der größte islamische Jugendverband, womit die Ergebnisse der Befragung eine gewichtige Aussagekraft haben.

Diskriminierung wird nicht als Alltagsproblem wahrgenommen

Für die Auswertung wurden schließlich über 500 ausgefüllte Fragebögen von Personen im Alter zwischen 14 und 27 Jahren genutzt. 79 Prozent besaßen einen deutschen Paß, 21 Prozent hatten eine nichtdeutsche Staatsbürgerschaft. Als Antwortmöglichkeit wurden den jungen Muslimen die Zahlen 1 bis 5 vorgegeben. 5 bedeutet volle Zustimmung zur Aussage, 1 besagt das Gegenteil. 

Fühlen sich hier aufgewachsene junge Muslime also als Deutsche? Die Antworten auf diese Frage sind breit gestreut und uneinheitlich. „Ich fühle mich als Deutsche/r“ findet einen durchschnittlichen Zustimmungswert von 2,64. „Als Deutsche/r in Deutschland anerkannt“ sehen sich weniger Befragte (2,22). „Die Gefahr, daß sich junge Menschen (…) aus dem Regelsystem verabschieden und sich ausschließlich in die eigenen Communities zurückziehen, ist (…) hoch“, warnt die Studie.

Deutlicher wird der primäre identitäre Bezugspunkt, wenn man die Zustimmung zur Aussage „Ich bin zuallererst Muslim/in“ (4,89) der Zustimmung zur Aussage „Ich bin zuallerersr Deutsche/r“ (1,98) und „Ich bin zuallererst Türkin/Türke“ (3,33) gegenüberstellt. Zur Erinnerung: Bei den Befragten handelt es sich zum Teil um die mittlerweile dritte Nachfolgegeneration der Gastarbeiter.

Trotzdem ist für die meisten Jugendlichen aus dem Ditib-Umfeld der Bezug zur Türkei noch immer extrem wichtig. Der Aussage „Die Türkei spielt für mich keine Rolle“ stimmen mit einem Wert von 1,25 nur die wenigsten Muslime zu. Ein Großteil der Befragten gibt dazu an, das vorderasiatische Land sehr gut zu kennen, obwohl 96 Prozent keine Schule in der Türkei besucht haben, sondern in Deutschland aufgewachsen sind. 

„Die Türkei ist Heimat“, fassen die Studienautoren zusammen. „Sie wird auch als solche definiert.“ Anerkennung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft ist weniger entscheidend. Die jungen Menschen suchen vielmehr Zuflucht bei Gott. Der Aussage „Ich suche Anerkennung nur bei Allah“ stimmen mit einem Wert von 4,32 fast alle Befragten zu. 

Unsicher sind sich die Befragten, ob Deutschland tatsächlich als Demokratie bezeichnet werden kann. Der durchschnittliche Wert bei der Aussage „Deutschland ist ein demokratisches Land“ liegt bei mittleren 3,4. Zwar wollen die meisten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, das Vertrauen in den deutschen Staat ist hingegen nicht vollständig ausgeprägt. Hier liegt der Wert bei 2,97. Politischen Parteien steht man ebenfalls eher skeptisch gegenüber (3,66). „Die Werte gruppieren sich um so etwas wie eine stabile Mitte“, lautet das Resümee der Wissenschaftler.

Anders als viele Politaktivisten behaupten, ist jedoch das Thema Diskriminierung kein größeres Problem bei allen jungen Muslimen. „Ich wurde/werde in der Schule diskriminiert“ findet einen Zustimmungswert von 2,58. Frauen berichten dabei häufiger von Diskriminierung als Männer. Die meisten Befragten geben an, sich bei Problemen selbst geholfen zu haben. Hilfe von außen gab es seltener. „Ich habe mich gegen Diskriminierungen in der Schule erfolgreich zur Wehr gesetzt“ findet eine Zustimmung von 3,51. Wo aber sehen die 14- bis 27jährigen ihre Zukunft? Fast immer lautet die Antwort auf die Frage, an welchem Ort sie ihren Lebensmittelpunkt planen: Deutschland. Hierzulande beerdigt werden möchten hingegen die wenigsten. Die Zustimmung hierzu liegt bei einem geringen Wert von 1,66. Viele Jugendliche sind zudem merklich hin und her gerissen zwischen ihrem Leben in Deutschland und der Türkei. Bei der Aussage „Ich möchte am liebsten in der Türkei leben“ liegt der Wert bei unentschlossenen 2,9. „Zumindest mental sitzen die von uns Befragten auf gepackten Koffern“, bemerken die Autoren der Studie hierzu. 

Bei der Wahl des richtigen Partners bleibt man unterdessen  lieber unter sich. „Ich würde nur eine Muslimin oder einen Muslim heiraten“, bejahen fast alle Befragten (4,53), die Frauen noch mehr als die Männer. Fast niemand würde einen Christen oder eine Christin ehelichen, noch weniger einen Juden oder eine Jüdin. Das identitäre Selbstverständnis der mittlerweile dritten Nachfolgegeneration der Gastarbeiter ist weiterhin ungebrochen.

Foto: Türkische Hochzeit in Deutschland: Fast alle Befragten wollen einen Muslim oder eine Muslima heiraten