© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Das Schwarze Gold sucht sich seinen Weg
EU-Embargo gegen russisches Öl: Den Saft für die Adern unserer Welt will nach wie vor jeder haben. Daran ändern auch Staatseingriffe, schwierigere Logistik und höhere Preise nichts. Der Markt ist nicht zu kontrollieren
Marc Schmidt

Jeder Volkswirtschaftsstudent lernt, daß politische Eingriffe in einen Markt Wohlstandsverluste für die Gesamtheit bedeuten, selbst wenn der gewünschte Effekt partiell erreicht wird. Jeder, der die aktuellen Entwicklungen der Weltmarktpreise für alle Formen der Energie betrachtet, sieht diese theoretische Erkenntnis bestätigt. Wie wenig dieses Wissen Politiker davon abhält, ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen zu entscheiden, zeigt sich an verschiedenen Folgen des Ölembargos gegen Rußland, den immer noch drittgrößten Ölförderer und zweitgrößten Ölexporteur der Welt.

Die Weltmarktpreise für Primärenergie, insbesondere für Öl, steigen mit jedem weltweiten Kriegsausbruch. Alle Konfliktparteien benötigen Treibstoff, sind bereit, dafür hohe Preise zu bezahlen, und die Logistik wird schwieriger. Wirklich starke Preisanstiege sind zu verzeichnen, wenn eine oder mehrere Konfliktparteien zu den Erdölexporteuren gehören, wie im Fall des russischen Angriffs auf die Ukraine.

EU geht von einem Importrückgang von 90 Prozent für 2022 aus

Die vorübergehende Verknappung des Rohstoffs und die Sorgen der Kunden bewirken einen starken Preisanstieg, die anderen exportierenden Staaten nutzen die Effekte des oligopolistischen Markts, um die eigenen Gewinne zu erhöhen. Auf die starken Preisanstiege zu Beginn eines Konflikts folgt nach den Gewinnmitnahmen im Regelfall ein langsames Wiederabsinken des Ölpreises, da sich der Markt auf der Angebotsseite neu einrichtet. Da Kriege in den seltensten Fällen dazu führen, daß die weltweiten Verbrauchsmengen sinken, geht es im Ergebnis immer nur darum, Marktanteile umzuverteilen und alternative Routen auszutüfteln und zu nutzen. Hohe Weltmarktpreise steigern zudem die Rentabilität teurerer Förderverfahren wie Fracking und ermöglichen es, kleinere Vorkommen auszubeuten, was sich sonst nicht rechnen würde. Entsprechend erhöhen längere Konflikte oder Hochpreisphasen am Weltmarkt meist vorübergehend die Fördervolumina in den USA. Im Ergebnis erweisen sich Preisschocks durch Opec-Maßnahmen oder Konflikte stets als zeitlich begrenzt. Greifen relevante politische Kräfte in dieser Situation zusätzlich ins Marktgeschehen ein, erleben die Verbraucher wie aktuell in Deutschland weitere negative Folgen wie Preisschocks, Inflation und Wohlstandsverluste, wie das Beispiel des deutschen beziehungsweise europäischen Ölembargos gegen Rußland zeigt.

In Deutschland gilt seit dem 31. Mai ein im Rahmen des 6. Sanktionspakets gegen Rußland verhängtes Ölembargo der EU für russische Ölimporte. Zwei Drittel der Importmenge nach Europa gehen über den Seeweg. Während Mengenangaben in Barrel aufgrund der Umrechnung und der verschiedenen Weiterverarbeitungsarten irreführend sind, läßt sich der Umfang des Handels am Finanzvolumen festmachen. Dieses betrug im letzten vollständig berechneten Jahr 2019 bei einem Preis von weniger als 100 US-Dollar pro Barrel 61.683.000.000 Dollar.

Ein Drittel der Importe in die EU geht über den Landweg, vor allem durch die Pipelines Druschba I und II, die Deutschland, Polen und Ungarn versorgen. Diese Pipelineimporte sollen möglich bleiben, und zwar zeitlich befristet, doch ohne ein Enddatum zu benennen – zu diesem Embargo-Kompromiß sahen sich die EU-Staaten gezwungen, da Ungarn aus Eigeninteresse mauerte; Ungarn bezieht offiziell 43 Prozent seiner Ölimporte aus Rußland, nach Insiderangaben weit mehr.

Das Embargo für den Seeweg hingegen tritt formal erst zum Jahresende in Kraft, um zu verhindern, daß die Preise auf dem Weltmarkt noch weiter in die Höhe schnellen, was nicht nur die deutsche Volkswirtschaft, sondern auch zahlreiche Länder in Afrika, Asien und Südamerika ökonomisch stark destabilisieren würde.

Deutschland will wie Polen die Ausnahmeregelung für Importe per Pipeline nicht nutzen und bis zum Jahresende kein Öl aus Rußland mehr importieren, mit der Folge, daß die EU bereits 2022 von einem Import-Rückgang um 90 Prozent ausgeht. Als Folge der Sanktionseinigung stieg der internationale Ölpreis erneut für wenige Tage stark an. Wie bereits Anfang März als unmittelbare Folge des Kriegsbeginns betrug der Ölpreis für alle Sorten kurzzeitig mehr als 120 Dollar pro Barrel. Im März sorgte die Nachricht in den USA für Freude, die sogleich wieder begannen, Öl zu fracken, wie auch im Iran, welcher nach Jahren der Isolation ankündigte, wieder Öl in jene Länder zu exportieren, die sich nicht an den Sanktionen gegen die Mullahs beteiligen. Durch die entsprechenden Mengensteigerungen sank der Preis wieder auf ca. 105 Dollar pro Barrel. Auch im Juni hielt der Preisschock als Folge der europäischen Embargoankündigung nur wenige Tage das Preisniveau über 120 Dollar pro Barrel. Bereits am 19. Juni ergab der außerbörsliche Wochenendhandel ein Preisniveau von 108 Dollar mit fallender Richtung.

Die Entkoppelung der steigenden deutschen Benzinpreise von dieser Tendenz hängt mit der politischen Entscheidung der Regierungskoalition zusammen, vollständig auf russische Ölimporte zu verzichten. Dieser Verzicht bedeutet für Deutschland ein Ende der Öl- und Benzinversorgung aus den beiden größten deutschen Raffineriestandorten Schwedt und Leuna. Diese werden traditionell über die Druschba-Pipeline aus Rußland beschickt. Das Öl, das Deutschland zukünftig per Schiff über Rotterdam importiert, sollen, der geographischen Nähe wegen, westdeutsche Raffinerien weiterverarbeiten.

Insbesondere der Standort Schwedt an der Oder mit 1.200 Arbeitsplätzen hat große Bedeutung für die Versorgung der östlichen Bundesländer. Die PCK Raffinerie Schwedt wird von der Anlage her nur über Pipelines versorgt, die Öl russischen Ursprungs liefern. Die Bundesregierung plant, den Standort zu erhalten und dann per Schiff über Rostock beliefern zu lassen. Die hohen Mehrkosten dieses Ansatzes will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aus Steuermitteln finanzieren.

Alternativ wäre es auch möglich, den Betrieb von Leuna und Schwedt über eine Querpipeline zur Druschba aus Polen sicherzustellen: Der Hafen Danzig könnte zum strategisch wichtigen Umschlagplatz für Importöl werden. Beide deutsche Raffinerien bedienen den Markt zwischen Schwerin und Erzgebirge mit Heizöl, Otto- und Dieselkraftstoffen, und ohne das Kerosin aus Schwedt könnten am Großflughafen Berlin-Brandenburg einzig Papierflieger und Kinderdrachen starten.

Diese „polnische“ Lösung erforderte aber weitere Einschnitte und kräftige Zahlungen der Regierung für den Standort Schwedt, der zu 90 Prozent dem russischen Ölkonzern Rosneft gehört, 2021 der neuntgrößte Energiekonzern der Welt mit einem Börsenwert von 117 Milliarden Dollar. Die Bundesregierung könnte Rosneft allerdings, wie Gazprom in Deutschland, unter Treuhandverwaltung stellen oder enteignen, um eine inländische Kontrolle von so wichtiger Infrastruktur zu erlangen. Dies würde zwar polnische Lieferungen per Pipeline ermöglichen, freilich auch den Bundeshaushalt durch Entschädigungsforderungen einmal mehr belasten.

Indien gibt verarbeitetes russisches Öl auf den Markt als Made in India 

Bislang treffen das europäische Embargo und die rechtlichen Komplikationen den russischen Konzern Rosneft kaum. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar lieferte er 61 Prozent der russischen Öl- und Benzinimporte im Wert von 57 Milliarden Dollar in die EU. Deutschland allein nahm Waren im Wert von 12,1 Milliarden Dollar ab. Dabei sorgten der Dollarkurs sowie das Preisniveau am Weltmarkt dafür, daß alle Einbußen bei der Exportmenge nach Europa wirtschaftlich überkompensiert worden sind. Trotz der Sanktionen und Importverzichte in Europa und den USA fördert Rußland relativ konstant und verteidigt seine Mengenposition am Weltmarkt. Die laufenden Übergangsfristen bis zum Inkrafttreten des Embargos ermöglichen es, Logistik und Exportverträge neu auszurichten. Während China als traditionell größter Abnehmer russischer Ölprodukte seine Abnahmemengen nur geringfügig erhöht hat, werden die nicht mehr nach Europa gelieferten Ölkontingente vor allem nach Indien, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien gegeben. Die arabischen Staaten, die in der Vergangenheit nicht unter den 20 größten Abnehmern der Russen gelistet waren, wollen vor allem bestehende Raffineriekapazitäten auslasten und den Weltmarktpreis hoch halten. Indien, das als eine der größten Volkswirtschaften der Welt in den Vereinten Nationen nicht gegen Rußland gestimmt hat (wie China), geht wirtschaftlich noch weiter. Das Land hat seine Ölimporte aus Rußland um 18 Prozent erhöht, was über den Eigenbedarf hinausgeht. Als Folge verarbeitet Indien russisches Öl im wesentlichen zu Benzin und Kunststoff, welche es dann als indische Ware per Schiff auch nach Deutschland liefert.

In dieser Logistik besteht die weltweite Schwäche der bestehenden Sanktionen. Ein internationaler Markt wie der Ölhandel ist weder durch die EU noch die Amerikaner vollständig zu kontrollieren. Selbst den Terroristen des IS gelang es zeitweilig, illegal Öl aus damals besetzten Raffinerien mit Abschlägen auf den Weltmarkt zu bringen. Von einer vergleichbaren Situation ist Rußland weit entfernt. 

Für die russischen Exporte gibt es derzeit zwei andere Hemmnisse: Zum einen fehlen weltweit Tankschiffkapazitäten. Nach Jahren der Überproduktion und des Abwrackens von Schiffen erzielen Tanker seit einigen Monaten Rekorderlöse bei der Charter. Zum anderen haben sich Europa und England verständigt, insbesondere beim weltgrößten Schiffsversicherer Lloyds in London das Versichern von Tankern, die russisches Öl transportieren, zu verbieten. Zur Zeit umgehen die Russen und die Eigentümer der Tanker dieses Verbot durch den Einsatz asiatischer Versicherungsgesellschaften, was allerdings weitere Mehrkosten hervorruft. Pikanterweise sind mehr als die Hälfte der betroffenen Tankschiffe in Griechenland registriert, was weiteren Streit in der EU über die Wirksamkeit der Sanktionen hervorrufen dürfte.

Foto: Öl aus der Russischen Föderation: Das Preisniveau für das begehrte Gut am Weltmarkt sorgt dafür, daß Moskau bei gedrosselter Lieferung nach Europa dennoch mehr verdient