© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Schluß mit lustig
Parlamentswahl Frankreich: Rechts und Links lehren die Etablierten das Fürchten
Friedrich-Torsten Müller

Schon der erste Gang der Parlamentswahlen in Frankreich vor einer Woche ließ für den frisch im Amt bestätigten Präsidenten Emmanuel Macron nichts Gutes erwarten. Kein Meinungsforschungsinstitut sah in den Tagen zwischen den Wahlgängen – nach nur 25,8 Prozent – eine sichere Mehrheit seiner Partei LREM und deren Partner voraus. Fast niemand hielt es aber für möglich, daß sich die Präsidentenpartei am Ende mit 38,6 Prozent und nur 245 der 577 Nationalversammlungssitze würde begnügen müssen. 

Damit verlor die bisher vom Präsidentenvertrauten Richard Ferrand geführte Fraktion fast ein Drittel ihrer zuvor 351 Sitze. Auch Ferrand selbst büßte sein Abgeordnetenmandat ein. Überschätzt wurden dagegen die Chancen von Jean-Luc Mélenchons Linksbündnis Nupes, das im ersten Wahlgang mit 25,7 Prozent fast gleichauf mit LREM an zweiter Stelle lag. Letztlich kann das grüne, linke bis linksextreme Wahlbündnis gerade einmal 131 Abgeordnete in das Palais Bourbon entsenden. Kein Meinungsforscher sah Nupes bei weniger als 140 Abgeordneten. Sogar 225 wurden für möglich gehalten. 

„Republikanische Front“ gegen Rechts funktioniert nicht mehr

Geschuldet waren diese relativen Wahlschlappen Macrons und Mélenchons wohl auch der niedrigen Wahlbeteiligung von nur 46,2 Prozent, vor allem aber dem überraschend starken Abschneiden von Marine Le Pens Rassemblement National (RN). Zwar war es Marine Le Pen, die vor zwei Monaten gegen Emmanuel Macron in die Stichwahl um das Präsidentenamt einzog. Doch das war vor der Gründung des Nupes-Bündnisses, das Wahlabsprachen und Kandidaturverzichte bedeutete, um die Kannibalisierung linker Kandidaten zu vermeiden. 

Zusammen mit dem jahrzehntealten Reflex der „republikanischen Front“, der bedeutete, daß alle Parteien RN-Kandidaten in Stichwahlen blockieren, hielt man Le Pen damit für weiterhin ausgebremst. Niemand sah voraus, daß die bisher mit nur neun Abgeordneten ohne Fraktionsstatus (Mindestanzahl 15) in der Nationalversammlung sitzende Rechtspartei mit 17,3 Prozent der Stimmen 209 Stichwahlbeteiligungen in 89 Abgeordnetenmandate umwandeln könnte.

Ebenfalls als Fiasko endete die Wahl für die konservativen „Republikaner“ und ihre Verbündeten, die sich mit 7,3 Prozent der Stimmen und noch 64 Mandaten mehr als halbiert haben. Bisher war die CDU-Schwesterpartei noch mit 130 Abgeordneten im französischen Parlament vertreten. Die Rechtsaußen-Konkurrenz „Reconquête!“ (Rückeroberung) des Rechtsintellektuellen Éric Zemmour war mit 4,2 Prozent der Stimmen bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden, konnte keinen ihrer Kandidaten in die Stichwahl schicken. 

Auf der Basis dieses Wahlergebnisses dürfte für Präsident Macron die Mehrheitsfindung für seine Regierung und vor allem seine Reformprojekte äußerst schwierig werden. Die inhaltlich am nächsten stehenden, aber gebeutelten „Republikaner“ unter ihrem Parteichef Christian Jacob haben gleich nach der Wahl bekundet, in die Opposition gehen zu wollen. Es werde „weder einen Pakt noch eine Koalition, noch sonst eine Absprache geben“, so Jacob, der selbst auf eine erneute Abgeordnetenkandidatur verzichtet hatte. 

Linksbündnis droht mit einem Mißtrauensvotum 

Die bisherige und vermutlich auch zukünftige Fraktionsvorsitzende der mit Abstand stärksten Nupes-Partei, „La France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich), Mathilde Panot, erklärte dagegen, daß Macron „seine schlimmsten Vorhaben gleich wieder wegpacken“ könne. Marine Le Pen blies in dasselbe Horn und erklärte Macrons geplante Rente erst mit 65 kurzerhand für „tot“. Sie selbst werde sich ganz auf ihre Arbeit als Oppositionsführerin konzentrieren und darum auch ihren ruhenden Parteivorsitz nicht mehr von ihrem bisherigen Stellvertreter, dem 26jährigen Jordan Bardella, zurücknehmen. 

Da das Wahlbündnis Nupes auf eine gemeinsame Fraktion im Palais Bourbon verzichten will, dürfte der RN tatsächlich die stärkste Oppositionskraft werden. Damit verbunden sind einige bedeutende Privilegien, wie zum Beispiel der Vorsitz im wichtigen Haushaltsausschuß und der Vize-Parlamentspräsidentenposten, sofern das Parlament sich an die Regeln hält. 

Präsident Macron indes meldete sich bis zu seinen Gesprächen mit den Fraktionen nicht öffentlich zu Wort und schickte lieber seine Regierungssprecherin Olivia Grégoire vor. Diese zeigte sich von der Wahl enttäuscht, verwies aber darauf, daß LREM weiterhin die „erste politische Kraft“ im Lande sei. Einen Vorgeschmack, wie schwierig das Regieren in Frankreich wird, dürften Emmanuel Macron und seine neue Premierministerin Élisabeth Borne bereits am 5. Juli bekommen. Die Nupes-Parteien kündigten an, die für diesen Tag geplante Regierungserklärung der Regierungschefin mit einem Mißtrauensvotum beantworten zu wollen.