© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

„Der neuen Weltlage anpassen“
Bauerntag 2022: Mangelwirtschaft, Preissteigerungen und anhaltende grüne Weltfremdheit
Christian Schreiber

Der Deutsche Bauerntag 2021 unter dem Motto „Zukunft Landwirtschaft“ war coronabedingt eine virtuelle Veranstaltung in Berlin, auf der Angela Merkel und ihre Ministerin Julia Klöckner leidenschaftslos für die „grüne“ Agrarpolitik der Bundesregierung warben. Ihr Parteifreund Joachim Rukwied, seit 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) wagte kaum Widerspruch – nach dem Motto: Mit dem Insektenschutz und Düngeverbot wird es unter Unionsführung schon nicht ganz so schlimm kommen.

Ein Jahr später ist alles anders: Explodierende Dünger-, Futter-, Diesel-, Gas- und Stromkosten, doch die höheren Lebensmittelpreise können die Kostensteigerung nicht ausgleichen. Speiseöl- und Nudel-Rationierungen in deutschen Supermärkten, drohende Hungerkatastrophen in armen Ländern, da die Getreidelieferungen aus der Ukraine ausbleiben. „Ohne die Landwirtschaft kann die mit dem Ukraine-Krieg ausgelöste Versorgungskrise in einigen Regionen der Welt nicht gelöst werden“, sagte Rukwied vorige Woche auf dem Bauerntag 2022 in der Musik- und Kongreßhalle Lübeck.

„Wir müssen Felder bearbeiten, wir haben kein Einsparpotential“

Cem Özdemir widersprach nicht direkt: „Es geht nicht einfach um den Guten und den Bösen“, erklärte der grüne Agrarminister. Seine „Politik müsse sich der aktuellen Weltlage anpassen“, auch wenn es nicht im grünen Parteiprogramm stehe. „Ich bin kein Ideologe“, versprach der 56jährige Vegetarier und Biokost-Gläubige. Doch von grünen Grundüberzeugungen wich er, anders als etwa Robert Haback, dennoch keinen Millimeter ab: Als einen „falschen Weg“ bezeichnete Özdemir daher Forderungen, bei der Agrarproduktion jetzt auf Vollgas zu gehen und Landwirtschaft nach „altem Muster“ zu betreiben. Zur Hungerbekämpfung solle lieber die Landwirtschaft in den Krisenregionen gestärkt werden – und bewies damit die befürchtete Praxisferne des grünen Berufspolitikers.

Rukwied hingegen sprach den 800 DBV-Delegierten angesichts der Sprit-Sparappelle der Ampel-Koalitionäre aus dem Herzen: „Wir Bauern haben massiv gestiegene Kosten“, so der 60jährige Bauernfunktionär und fügte hinzu: „Wir können nicht einfach am Wochenende wie Privatleute das Auto stehen lassen und sagen, jetzt mache ich den Ausflug nicht. Wir müssen unsere Felder bearbeiten, da haben wir eigentlich kein Einsparpotential.“ Er forderte auch eine Priorisierung bei Erdgas, sollte es zu Rationierungen bei Lieferausfällen kommen. Denn ohne Gas ist eine Beheizung von Ställen oder die Trocknung von Getreide praktisch unmöglich.

Die sogenannte Farm-to-Fork-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“) für nachhaltige Landwirtschaft gehöre auf den Prüfstand: „Wenn Rußland Getreidelieferungen als politische Waffe einsetzt, kann der Westen sich nicht im Produktionsverzicht üben“, so Rukwied. Man habe im globalen Maßstab bereits ein hohes Niveau an Nachhaltigkeit erreicht. Die EU-Handelspolitik müsse „endlich gleiche Produktionsstandards für Lebensmittelimporte aus Drittstaaten festsetzen“, sagte Rukwied – und klang damit fast wie ein Vertreter des kleineren Alternativverbandes Freie Bauern. Auch der DBV lehnt es ab, die EU-Ziele für Pflanzenschutzmittel und Düngemittel in verbindliche Rechtsvorschriften umzusetzen. Studien zeigten, daß dies zu „CO2-Verlagerungs-Effekten“ führe und die Stabilität der Lebensmittelerzeugung gefährden würde.

In der Diskussion um Produktionsausweitungen zur Ernährungssicherung traute sich Rukwied aber nicht, verbal von der Berliner Regierungslinie abzuweichen: „Wir halten am Transformationsprozeß zu mehr Klimaschutz, mehr Tierwohl in den Ställen und Verbesserungen für die Artenvielfalt fest. Es sei nicht zielführend, diese Themen jetzt auszusetzen“, versicherte der DBV-Chef. Er klang damit wie der ebenfalls zum Bauerntag eingeladene CDU-Ministerpräsident Daniel Günther, der trotz schwarz-gelber Landtagsmehrheit freiwillig auf eine Koalition mit den Grünen setzt. Und das Thema „Ernährung in Europa sichern“ wurde tatsächlich auch bei einem „Junglandwirt:innen-Treff“ diskutiert. Trotz solcher Zeitgeistverbeugungen blieb Rukwied bei seiner Argumentationslinie – angesichts der globalen Versorgungskrise müsse man die Frage stellen, wo man noch Anbaureserven habe: „Da bieten wir als deutsche Bauern an, mehr Flächen temporär zum Lebensmittelanbau zu nutzen“, so Rukwied, „und ich denke, wir sollten das auch ethisch gesehen tun.“

Deutsches Ackerland durch den Bau von Solaranlagen entwerten?

Um zusätzlichen Weizen anzubauen, müßten daher zwei Prozent der von der EU vorgesehenen Brachflächen für die Bewirtschaftung freigegeben werden. „Wenn wir das in Deutschland machen, in Europa machen und weltweit machen, dann würde es bedeuten, daß jede Tonne Weizen, die zusätzlich erzeugt wird, den Aggressor Rußland schwächt“, so Rukwied, der damit versuchte, die zu Bellizisten gewendeten Grünen auf seine Seite zu ziehen. Doch Özdemir traute sich nicht, dem zuzustimmen: „Wir müssen damit aufhören, Krisen angeblich zu lösen, indem wir andere Krisen verschärfen“, erklärte der frühere Grünen-Chef. Er weiß, daß seine Wählerklientel besserverdienende Städter und Ökobauern sind. Es würden daher Maßnahmen gebraucht, die Ernährungssicherheit brächten und „klimaverträglich“ seien. Er wolle „wertvolle Artenvielfaltsflächen“ erhalten und lehne eine „Hochertragslandwirtschaft“ mit Dünger auf diesen Standorten ab: „Nur, wenn wir schützen, was wir nutzen müssen, können wir unsere Ernährung dauerhaft und unabhängig sichern.“

Ein weiterer Streitpunkt ist der Bau von Photovoltaikanlagen auf Feldern. Die landwirtschaftlichen Flächen seien begrenzt und die Bauern könnten nur dort ihre Lebensmittel anbauen. Daher sollte das Ackerland als hochwertiges Gut erhalten bleiben, forderte Rukwied. „Wir haben noch genügend Dachflächen und riesige Parkflächen, zum Beispiel vor den zahlreichen Supermärkten, die könnte man hervorragend überdachen.“

Die Reden vom Bauerntag 2022 auf Youtube: www.bauernverband.de

Foto: Ein Traktor steht vor dem Eingang zum Deutschen Bauerntag 2022: „Wenn Rußland Getreidelieferungen als politische Waffe einsetzt, kann der Westen sich nicht im Produktionsverzicht üben“