© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Das Ende der Rabattschlachten
Autobranche: Maximalprofite und teure Gebrauchtwagen /Mietwagenpreise verdoppelt
Paul Leonhard

Vorigen Sonntag sorgten Tausende Aktivisten aus grünen Vorfeldorganisation und kirchlichen Umweltgruppen für Staus und Umleitungen in Deutschland. Organisiert vom Trägerverein „Mobil ohne Auto Nord“ radelten sie beispielsweise auf acht behördlich abgesperrten Routen aus dem Hamburger Speckgürtel trotz Regens ins Zentrum der Hansestadt – Autofahrer hatten das Nachsehen. In Stuttgart, wo seit Jahresanfang Frank Nopper (CDU) gewählter Oberbürgermeister ist, wurde sogar die wichtige Bundesstraße 14 weiträumig abgesperrt, nur damit einige Dutzend Autohasser ein Picknick unterm Sonnenschirm machen und dabei für „echten Klimaschutz“ und kostenlosen ÖPNV demonstrieren konnten.

Am Abend konnten Busse, Lieferanten, Pendler und Touristen wieder ungehindert fahren. Dafür blockierten am Montag die Radikalen der „Letzten Generation“ in Regenkleidung aus Erdölprodukten Berliner Autobahnausfahrten, um gegen Nordseeöl zu protestieren. Doch die Automobilität wird eigentlich von einem ganz anderen „Feind“ existentiell bedroht: exorbitanten Preissteigerungen. Und das betrifft nicht nur Benzin und Diesel – auch Gebraucht- und Mietwagen werden immer teurer, viele Neuwagenmodelle und Ersatzteile sind nicht oder nur mit langen Wartezeiten lieferbar. Die automobile Inflation betrifft nicht nur Europa, sondern auch Amerika. Statt zweistelliger Rabatte und günstiger Tageszulassungen sind junge Gebrauchte teurer als manche nicht lieferbare Neuwagen – das kannte man bislang nur aus DDR-Zeiten.

Der weltweite Automarkt gehe durch eine Angebotskrise, wie sie „in diesem Ausmaß seit den 1960er Jahren nicht beobachtbar war“, konstatiert Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Duisburger CAR-Center Automotive Research. Im April kostete ein dreijähriger Benziner unabhängig von der Marke beim Kauf im Autohandel 30,1 Prozent mehr als ein vergleichbares Auto im Vorjahresmonat. Diesel verteuerten sich sogar um 31,8 Prozent. „So nah waren die Preise für gebrauchte Autos den Listenpreisen von Neuwagen vielleicht noch nie“, bestätigt Andreas Geilenbrügge, Restwert-Experte von Schwacke. All das erklärt, warum im Mai nur 207.199 Pkw neu zugelassen wurden – über zehn Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Im Jahr 2019 verließen 4,66 Millionen Pkws die Bänder in Deutschland – 2021 waren es nur noch 3,75 Millionen. Die deutschen Autoexporte reduzierten sich von 3,49 auf 2,37 Millionen.

„Die neue Leitwährung ist nicht der Absatz, sondern der Gewinn“

Die einstigen Rabattschlachten sind vorbei – selbst Avis, Hertz oder Sixt müssen höhere Preise zahlen. Das erklärt die hohen Mietwagentarife, egal ob am Münchner Flughafen, auf Mallorca oder in Miami. Dennoch sind die Leihautos oft ausgebucht. Die Fahrzeughersteller haben sich in der Mangelwirtschaft eingerichtet: Sie geben keine Nachlässe mehr und bauen die raren Elektronikchips und Zulieferteile in die margenstarken Modelle ein – sprich: lieber lukrative SUV und Limousinen statt unrentabler Kleinwagen und Vans. Das verknappte Angebot erhöht die Zahlungsbereitschaft, denn wer das Geld für einen Audi RS Q3 oder einen BMW 530i Touring hat, steigt nicht mit dem Neun-Euro-Ticket in den Bus und eine überfüllte Regionalbahn oder radelt 30 Kilometer zur Arbeit.

Der deutsche Autoindustrieverband VDA rechnet in diesem Jahr wegen der Materialengpässe nur mit 2,7 Millionen Neuzulassungen auf dem Heimatmarkt – 2019 waren es 3,6 Millionen gewesen. Doch „die neue Leitwährung der Branche ist nicht länger der Absatz, sondern der Gewinn“, schreibt das Handelsblatt. Der operative Gewinn der 16 größten Autokonzerne kletterte 2021 um 168 Prozent auf insgesamt 134 Milliarden Euro, ermittelte die Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY).

Im ersten Quartal ging es so weiter: Bei Mercedes sind die Pkw-Absätze um zehn Prozent zurückgegangen, aber im „Top-End-Segment“ wurden fünf Prozent mehr Autos abgesetzt. Daher stieg der Umsatz um sechs Prozent auf 34,9 Milliarden Euro und der Gewinn auf 3,5 Milliarden Euro. „Wir sind mit den Ergebnissen im ersten Quartal sehr zufrieden“, erklärte Finanzvorstand Harald Wilhelm. „Die Nachfrage nach all unseren Produkten in allen Märkten ist sehr stark und weiterhin sehr hoch.“

Für die G-Klasse von Mercedes – Basispreis 109.295 Euro – gibt es einen faktischen Bestellstopp für deutsche Kunden. Und „weil sich die gebrauchte G-Klasse derzeit einer so hohen Nachfrage erfreut, ist es derzeit teurer, sein geleastes Auto aus dem Leasing herauszukaufen als einen neuen Wagen zu bestellen“, berichtete die Wirtschaftswoche. Doch den gibt es hierzulande derzeit nicht zu kaufen – selbst in die Golf-Staaten und die USA werden lieber die AMG-Versionen jenseits von 200.000 Dollar geliefert. Mercedes hat aber eine Entschuldigung parat: Vorübergehend könne es „aufgrund von Lieferengpässen zur temporär eingeschränkten Verfügbarkeit des Kommunikationsmoduls (LTE) kommen“. Betroffen seien die „me connect“-Dienste einschließlich des Notrufsystems eCall.

Und ohne solche Sicherheitssysteme oder Komfortassistenten fährt bald nichts mehr in der EU. 2019 wurde eine Verordnung (19/2144) beschlossen, die ab Juli für alle ganz neuen Automodelle und ab 2024 für alle Neuwagen diverse elektronische Zusatzausrüstungen vorschreibt, die die Preise zusätzlich nach oben treiben. Der intelligente Geschwindigkeitsassistent (ISA) ist eine Kombination aus adaptivem Tempomat, Verkehrszeichenerkennung, Navigation und weiteren Systemen, der Raser ausbremsen soll. Auch Müdigkeitswarner, Notbremslicht, Rückfahrassistent und Alkohol-Wegfahrsperre werden Pflicht. Dazu kommt eine Blackbox, die – wie in Flugzeugen und Mietwagen – Daten wie Fahrgeschwindigkeit, Bremsungen, Position und Neigung des Fahrzeugs auf der Straße erfaßt – „Big Brother is watching you!“ werden sich Leser von George Orwells „1984“ erinnern. Doch das ist nun keine Dystopie mehr. 

„Zahlen & Fakten 2021“ des Kfz-Verbands ZDK: www.kfzgewerbe.de

Foto: Aufkleber in einem Mietwagen: „Die Nachfrage nach all unseren Produkten in allen Märkten ist sehr stark und weiterhin sehr hoch“