© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Identitätspolitik: Der Wind beginnt sich zu drehen
Besser Klassenkampf als Kulturkampf
(dg)

Erschrocken registriert Lea Susemichel, leitende Redakteurin des feministischen Magazins an.schläge, daß ihr Geschäftsmodell „Identitätspolitik“ ausgerechnet an dessen Wiege, den USA, mittlerweile auf starken publizistischen Gegenwind stößt. Die prominenten Stimmen derer, die wie Francis Fukuyama, Zygmunt Baumann, Nancy Fraser oder Mark Lilla davor warnen, daß der Kulturkampf der „Woken und Diversen“ zentrale sozioökonomische Gegensätze ausblende und so dem Klassenkampf Energie entziehe, würden leider lauter. Linke Politik solle sich lieber wieder Anliegen widmen, die einem Großteil der Bevölkerung am Herzen liegen. In Deutschland mache sich Sahra Wagenknecht zum Lautverstärker dieser Kritiker, wenn sie die „Lifestyle-Linke“ bezichtige, sich mit den „Luxusproblemen“ der Identitätspolitik zu befassen. Dabei existiere ein von deren links- wie rechtspopulistischen Gegnern imaginiertes „homogenes weißes Industrie- und Produktionsproletariat“ in den USA und Westeuropa gar nicht mehr, da die alte „Arbeiterklasse“ sich heute überproportional aus Menschen mit „Migrationsbiographien“ rekrutiere. Und für die seien „rassistische, sexistische, klassistische Diskriminierungen“ keine „Luxusprobleme“. Dagegen hält das taz-Urgestein Jan Feddersen daran fest, daß Identitätspolitik insofern „kein Gewinn“ sei, weil sie sich weigere, die „soziale Frage von Weißen“ zu thematisieren und sie den Opferstatus exklusiv für alle Nicht-Weißen reserviere. Folglich betrieben ihre Anhänger „nur Politik der Besitzstandswahrung, für Neoliberale und weiße Konservative“ (Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 5/2022). 


 www.frankfurter-hefte.de