© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

CD-Kritik: Franz Schubert, Quatuor Modigliani
Hoffnungssüchtig
Jens Knorr

Die vier Musiker vom Quatuor Modigliani haben Franz Schuberts Streichquartette eingespielt, und zwar nicht nur die berühmten vier letzten, „Rosamunde“, „Der Tod und das Mädchen“, den Quartett-Satz und das unfaßbare Quartett in G-Dur, sondern wirklich alle 15, die auf uns gekommen sind. Und wie sie die spielen! Gemeinhin werden Schuberts Quartette zwei Schaffensperioden zugeteilt, die elf zwischen 1811 und 1816 komponierten einer frühen und die letzten vier, zwischen 1820 und 1827 komponierten, einer späten. Aber was heißt denn schon Früh- und Spätwerk bei einem, der vor der Zeit an Armut, Krankheit und an Metternich jämmerlich krepieren mußte.

Die Modiglianis haben die Quartette nicht chronologisch, sondern thematisch unter – streitbare – Titel geordnet: Harmonie, Art du Chant, Classicisme, États d’Âme, Clair-Obscure. Die sollen das Hören auf Linien der Werkentwicklung lenken, das als gelenktes aber auch Gefahr läuft, musikalisches Empfinden in außermusikalische Gefühligkeit umzumünzen.

Die Polarität des Schubertschen Komponierens tragen die Modiglianis aus den späten in die frühen Quartette hinein, ohne frühe Talentproben und gesellige Übungsstücke zu überfordern. Was die frühen gewinnen, geht den späten nicht verloren. Sie schärfen Kontrastierungen sowohl innerhalb der Quartette als auch zwischen ihnen. Sie setzen illusionslos hoffnungssüchtig Bruderschaft und Einsamkeit, Euphorie und Verzweiflung neben-, gegen-, ineinander – kein Moment ohne sein Gegenteil. Wer hören kann, muß fühlen.

Franz Schubert Die Streichquartette Mirare 2022 www.mirare.fr