© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Die Wunderkerze des Rock’n’Roll
Kino: In Baz Luhrmanns neuestem Bilderrausch dreht sich alles um Elvis und den Mann, der ihn groß machte
Dietmar Mehrens

Wie eine Wunderkerze, die von beiden Enden brennt, weshalb doppelt so viele Funken sprühen, das Spektakel dann aber auch doppelt so schnell vorbei ist – so könnte man das Leben von Elvis Aaron Presley charakterisieren, der berühmten Rock’n’Roll-Legende, deren Leben 1977 mit nur 42 Jahren endete. 

Nachdem sich 2005 bereits ein sehenswerter TV-Zweiteiler mit Jonathan Rhys Meyers in der Hauptrolle der tragischen Lebensgeschichte des Sängers mit dem legendären Hüftschwung angenommen hatte, versucht es nun Baz Luhrmann mit der ihm eigenen Art, Filme zu machen. In rasant aneinandergeschnittenen Sequenzen läßt der Regisseur die wichtigsten Stationen in der Karriere von Elvis Presley (Austin Butler) Revue passieren. Das ähnelt in der Machart dem Film „Rocketman“ (2019) über Leben und Leiden des Sir Elton John. Wem der schon zu bunt und schrill war, der sollte für „Elvis“ erst recht keine Kinokarte lösen.

„Ich bin der legendäre Colonel Tom Parker, der Bösewicht, der Elvis groß machte!“ Mit diesen Worten läßt Luhrmann seinen musikalischen Bilderreigen beginnen. Den dubiosen Parker, aus dessen Sicht die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Sängers mit der Schmalzlocke erzählt wird, spielt Tom Hanks. Der bewirbt sich offenbar mal wieder für einen Oscar. Als teiggesichtiger alter weißer Mann mit Churchill-Leibesfülle und Churchill-Zigarre im Mund ist der Darsteller von „Forrest Gump“ (1994) kaum wiederzuerkennen.

Sittenstrenge Diskurswächter in den fünfziger Jahren  

Mit Tempo und Temperament, gleichsam im Rhythmus eines Rock’n’Roll-Gesangsstücks rast Luhrmann durch die Geschichte. Erste Station: Tupelo/Mississippi, wo Elvis, als Angehöriger einer weißen Minderheit in einem Schwarzen-Ghetto hin und her gerissen zwischen Gospel-Gottesdiensten und weniger gottgefälligen Tanzveranstaltungen, sich seine Inspiration für Melodie und Rhythmus holt. Nach seinem Beginn bei Sun Records macht das Ausnahmetalent rasch von sich reden. Als Colonel Parker erfährt, daß die heißen Rhythmen von einem Weißen stammen, ist er Feuer und Flamme und wirbt Elvis von Sun ab. Er verdient sich anschließend als sein Manager eine goldene Nase. Elvis’ Blitzkarriere gipfelt in dem Skandal um seine erotisierenden Hüftbewegungen. Presleys Einberufung zum Militär soll Druck aus dem Kessel nehmen. Die letzte Etappe seiner Karriere ist die Zeit der großen regelmäßigen Auftritte im International Hotel in Las Vegas. Immer wieder findet die Kamera, die Elvis auf diesen Karrierestationen folgt, die Gesichter völlig außer Rand und Band geratener Mädchen. Mit ihm hielt das exaltierte Kreischen hypnotisierter Massen Einzug in die Musikgeschichte. 

Die Geschichte, die sich nebenbei noch ereignet hat – die Morde an den Kennedy-Brüdern und an Martin Luther King, Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung –, ist für Luhrmann nur Kulisse. Auch die vielen Hollywood-Produktionen, für die Parker seinen Schützling einspannte und in denen der nicht recht glücklich wurde, sind ihm nur wenige Filmsekunden wert. Es ist, als blättere man gemeinsam mit dem Regisseur in einem animierten Bildband mit vielen kunstvollen Collagen. Etwas epischer dargestellt wird immerhin die unglücklich endende Beziehung zwischen Elvis und seiner Frau Priscilla (hinreißend: Olivia DeJonge), der Tochter eines Generals, die der zur Armee Eingezogene in Deutschland kennenlernte.

Angemessen gewürdigt werden in dem Film auch die sittenstrengen Diskurswächter der fünfziger Jahre, die Elvis die Darstellung von „Lust und Perversion“ vorwarfen. Das Theater um „Elvis, the pelvis“ („Elvis, das Becken“) ist ein Politikum, das die Brücke in die Gegenwart schlägt. Es zeigt, daß sich zwar die Themen geändert haben, ansonsten aber dieselben Reflexe funktionieren: Nach wie vor zieht den Haß der Orthodoxie auf sich, wer sie herauszufordern, ihre Werte und Konventionen in Frage zu stellen wagt. Hüftschwinger trifft Schwurbelredenschwinger sozusagen.

Als das Gesicht des großen Musikers schließlich dank des Maskenbildners genauso teigig und aufgedunsen auszusehen beginnt wie das seines Managers, ist dem Publikum klar, daß das Ende naht. Den tragischen Tod des Musikers aus Memphis erspart Luhrmann dem Zuschauer; auch von ihm berichtet er lieber mit einem Kamerablick in die entgeisterten Gesichter der Presley-Anhängerschaft, als die Hiobsbotschaft sie erreicht.

Zum Leitmotiv erhoben hat der Regisseur – ein schöner Kunstgriff – den Wunsch des jungen Elvis, wie sein Lieblings-Superheld Captain Marvel zum „Felsen der Ewigkeit“ zu fliegen. Dort ist der „King“ natürlich längst angekommen. 

Kinostart ist am 23. Juni 2022